Foto: Szene aus dem Weill-Musical "Lady in the Dark" in Mainz © Martina Pipprich
Text:Rainer Nolden, am 19. Mai 2014
Dem Musical „Lady in the Dark“ verdankte Kurt Weill 1941 seinen ersten großen Erfolg in Amerika. Das Buch stammt von dem Dramatiker Moss Hart, der in dem Stück eigene therapeutische Erfahrungen verarbeitet. Die pfiffigen Songtexte schrieb der seit dem Tod seines Bruders George künstlerisch ein wenig heimatlos gewordene Ira Gershwin.
Mit einem inszenatorischen Paukenschlag beendet Matthias Fontheim seine achtjährige Intendanz in Mainz – ausgerechnet mit einem Stück, das seit seiner Premiere vor mehr als 70 Jahren reichlich Archivstaub angesammelt hat. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn dieser Staub ordentlich weggepustet worden wäre. Aber Fontheim buchstabiert das Musical „Lady in the Dark“, Kurt Weills ersten amerikanischen Erfolg, buchstabengetreu nach. Hätte er doch bloß den Rotstift aus der Schreibtischschublade genommen: Dreieinhalb Stunden für das Stück aus der Mottenkiste der Psychoanalyse sind mindestens eine Stunde zuviel.
Erzählt wird die Geschichte von Liza Elliott, Chefredakteurin der Modezeitschrift „Allure“, die in eine seelische Krise stürzt (neudeutsch Burnout). Mit den Männern klappt es nicht, beruflich steht sie vor schwierigen Entscheidungen (welches Titelbild soll die nächste „Allure“-Ausgabe zieren!?!), und dazu wird sie von Erinnerungen aus der Kindheit geplagt, die nicht gerade glücklich gewesen ist, wie ein zu Rate gezogener Therapeut innerhalb weniger Wochen feststellt. Seele geheilt, Beruf abgehakt, richtigen Mann gefunden. Vorhang! Selbst Sigmund Freud wäre daran gescheitert, eine graue Maus innerhalb von vier Wochen zu einem selbstbewusst glitzernden Menschen zu therapieren.
Zugegeben: Das ist, so verkürzt und verknappt, ein bisschen unfair (aber auch Kurt Weill war mit der Entstehungsgeschichte des Musicals nicht wirklich glücklich). Immerhin hat das Mainzer Staatstheater für die Show einen beachtlichen Kraftaufwand geleistet. Auf der Bühne wimmelt es von Menschen aus Lizas Gegenwart und Vergangenheit (Chor, Ballett, Statisterie, Jugendclub …), die Valerie Hirschmann in prachtvolle, fantasiereiche, den Zeitgeist atmende Kostüme gesteckt hat. Das Bühnenbild: eine Augenweide, für die Stefan Heyne eine irritierend-klaustrophobische Holzkonstruktion mit Nischen, Zimmerchen, Alkoven und Korridoren auf die Drehbühne gesetzt hat und die aus jeder Perspektive neue Einsichten gewährt. Pate bei den zahlreichen Treppen, die vom Nirgendwo ins Nichts führen, kreuz und quer und kopfüber, ist der Niederländer Maurits Cornelis Escher.
Und der Dirigent Florian Csizmadia trifft mit dem Philharmonischen Staatsochester exakt den angejazzt swingenden Ton der farbenreichen Musik Weills, die zwischen Broadwayschlager, moderner Klassik und einem Hauch Dreigroschenoper angesiedelt ist und seinerzeit zum Innovativsten und Anspruchsvollsten gehörte, was bis dato aus dem Orchestergraben eines Musicaltheaters heraufklang. Freilich: Ein wirklicher Hit findet sich nicht in der Partitur.
Soviel wie bei einem herkömmlichen Musical hat das Orchester auch nicht zu leisten; Weill hat die Musik sparsam eingesetzt – so beginnt die Show, höchst ungewöhnlich, trocken, d. h., ohne Ouvertüre – und überwiegend auf die Traumsequenzen konzentriert, die die vier Therapiesitzungen heraufbeschwören. Den Schauspielern dürfte es recht sein, denn den echten Musicalsound treffen die klassisch ausgebildeten Künstler ohnehin eher selten. Das ist allerdings kein Mainzer Alleinstellunsgmerkmal: Beim Musical auf deutschen Bühnen rutschen die meisten Darsteller eh immer wieder ins Opernhaft-Operettige ab.
Marcus Mislin spielt den Therapeuten Dr. Brooks mit jener kühlen, fast unbeteiligten Zurückhaltung, die man einem rechten Seelenklempner unterstellt. Pascale Pfeuti in der Titelrolle erzählt, zunächst misstrauisch und widerborstig, nach und nach jedoch auftauend, anrührend von den blauen Flecken auf Lizas Seele. Auf ihren schmalen Schultern trägt sie die neben der schauspielerischen die sängerische Hauptlast des Abends, die die an Pop, Funk und Rock geschulte Leadsängerin der Band „papaceluma“ mit Bravour stemmt, so dass mitunter tatsächlich echtes Broadway-Feeling aufblitzt.
Gregor Trakis als Lizas verheirateter Lover ist wirklich nicht der Typ, für den eine Frau ihr Leben umkrempeln würde. Da ist Stefan Walz als Schauspieler Randy Curtis schon eine andere Hausnummer, der kann wenigstens singen (und sogar ein bisschen tanzen). Und dass man eine Frau auch ohne Kehlkopfschmalz rumkriegen kann, beweist Hendrik Richter als Werbechef Charley. Zwischen Liza und ihm läuft’s dann letztlich doch auf die hinlänglich bekannte „boy gets girl“-Geschichte à la Katharine Hepburn und Spencer Tracy hinaus.
Komödiantische Glanzpunkte setzen Jürgen Rust als schwuler Fotograf sowie Nicole Kersten und Friedrike Bellstedt als Lizas mal nervige, mal mütterliche Kolleginnen. Warum allerdings die Songtexte zusätzlich als Overhead-Projektionen auftauchen, bleibt ein Rätsel. Vertraut Fontheim so wenig auf die klare Diktion seiner Darsteller? Und wenn die deutschen Texte schon zum Mitlesen angeboten werden, dann hätte der Regisseur fürs Stück auch auf die (sehr viel besseren) Originalzeilen von Ira Gershwin zurückgreifen können.
Das Publikum jedenfalls war zufrieden. Es hat das Ensemble mit minutenlangem Beifall bedacht und seinen langjährigen Intendanten Matthias Fontheim mit donnerndem Applaus verabschiedet: Seelenbalsam für den 57-Jährigen, der das Staatstheater nicht ganz ohne Groll verlässt.