Gemeinsam mit ihrem Arbeitspartner Gai Behar, dem Lichtdesigner Alon Cohen, der den Tänzern auf der dezent durchnebelten Bühne keinerlei Gemütlichkeit gönnt, und gemeinsam mit dem Elektronikkomponisten Ori Lichtik erschafft Sharon Eyal eine Atmosphäre der Unerbittlichkeit, der eisig ehrlichen Künstlichkeit und unnahbaren Nähe. Zu Beginn spazieren Tänzer paarweise und einzeln über die Bühne, erhoben auf halbe Spitze, die Hände über die Leisten geklemmt, als hielten sie einen Gürtel. Die Ellenbogen ecken aus, die Brust ist herausgewölbt. So halten sie an sich, wie Leute im Korsettjahrhundert, disziplinierte Nijinsky-Faune. Augen geradeaus, immer im Takt der Musik, mit minimalem Schulternschieben, rechts-links-rechts-links. Doch plötzlich wendet der eine junge Herr dabei sein Gesicht dem Kompagnon zu. Der stiert geradeaus. Und die eine, vielleicht zärtliche Frage läuft ins Leere. Eine andere aber wird beantwortet, als zwei Blicke sich treffen über die gesamte Bühnenbreite hinweg und durch den ganzen anderen steifäugig marschierenden Trubel hindurch gehalten wird. Er und sie. Als die gesamte Menge sich zur Parade formiert, zur Kette, „chain”, schiebt er sich zu ihr ans Ende. Aber das hält das Getriebe nicht auf.
Rasseln, Klirren
Der Technobeat fügt ein Kettenglied ans andere, repetitiv, mal dumpfer, mal heller, mal geschichtet, mal reduziert auf einfach Schläge, mal synkopiert, sogar zum Tango wächst sich die Musik einmal aus, zu einem Lied. Aber der traurige Gedanke erlöst diese Gesellschaft nicht, nur winzige Tänzelschritte schleichen sich ins Uhrwerk. Verschwinden wieder. Die Tänzer legen die Hände auf ihre platten Bäuche, als sei da Gefühl spürbar. Vielleicht Hunger. Mit der Zeit werden es immer mehr Fäuste, an der Taille lauernd, hinterm Rücken versteckt, in die Luft gereckt. Die linken. Sharon Eyal vermeidet Klischees. Sie lässt die Tänzer zunehmend zur Meute werden, rückt sie nah aneinander, frontal ausgerichtet, mit kurzen Spritzern zur Seite, breitbeinigem Aufplustern, Armerotieren, -ausfahren. Zusammenraffen, Wegducken. Mehrmals umzingeln sie jemanden, wie Raubtiere, wie Hörige, wie Geängstigte. Fünf Sekunden Sacre. Der blonde, gescheitelte Finn Lakeberg wölbt erst seine Rippen heraus, wird zum Gerippetod, dann dirigiert, schiebt, weht er von hinten mit großer Geste die Tänzerschar nach rechts, nach links: ein Diktator.
Halten
Als die Choreographie den einzigen dunkelhäutigen Tänzer, Justin Brown, von den anderen separiert, an den Rand stellt, mit den Augen rollen und sich in falscher Sexyness winden lässt, kann man gar nicht so lange die Luft anhalten, wie sie den schlimmen Anblick festhält. Die unsichtbare Kette ist zwischen ihm und den vielen gespannt. Und zu uns herüber. Doch wo bleibt die „Seele“ des Titels? Zwei Frauen geben in dieser Gesellschaft des Gleichschritts ihre Eigenheit, vielleicht Seele, nie ganz auf: Amber Pansters mit ihrem häufig nach oben gerichteten Blick und der sinnlichen Biegung ihres Körpers, ist eine Sehnsuchtsvolle, unberührt Erregte; und über Maasa Sakanos Kopf ragt fast ständig ihr Arm, die Hand locker in der Luft, das einzige lose, liebenswerte Element der „Soul Chain“, ein grashaftes Antennchen, Flämmchen. Seelchen.
Das Grauen dieser Welt
Mit enormer Kraft tragen die Mainzer Tänzer diese schwere „Soul Chain” durch fünfzig intensive Minuten, bis ihre erschöpften Blicke den Wesen, die sie verkörpern, Brutalität und Verzweiflung verleihen. Sharon Eyal holt aus ihnen nicht verbogene Eleganz heraus wie aus dem Nederlands Dans Theater, nicht die zäh-groteske Biegsamkeit ihrer eigenen Kompagnie L-E-V. Sondern meißelt das Porträt einer Gruppe von an innere und äußere Ketten gelegten Individuen. Dieses unstatisch Statische des Mainzer Stücks hat in seiner Konsequenz eine unheimliche Wucht.