Foto: Szene aus "Der Penner ist jetzt schon wieder woanders" am Gorki in Berlin. © Thomas Aurin
Text:Barbara Behrendt, am 17. Januar 2012
Ort der Handlung: die Berliner U-Bahn – man denke ans Musical „Linie 1“. Die Protagonisten: Igor und Andrej, die auf der Suche nach ihrem Dealer (dem „Penner“ im Titel) brutal Mitfahrende umlegen – das erinnert an die reale Gewalt auf U-Bahnhöfen. Sie morden wahllos – wie in einem Splatter-Film von Tarantino. Und am Ende bringen sie auch den nutzlosen Gott um, der im Waggon sitzt: Gott ist tot – siehe Nietzsche.
Tatsächlich ist Juri Sternburgs Erstling, ausgezeichnet mit dem Förderpreis für Junge Dramatik beim Stückemarkt des Theatertreffens 2011, voller Zitate. Aber auch wenn der Kreuzberger Autor hier nicht die Welt neu erfindet, merkt man doch: Die amoralischen Hauptfiguren, die Sinnfragen, auf die Igor und Andrej trotz allem Nihilismus eine Antwort verlangen, sind keine in der Schreibschule entstandenen Kopfgeburten eines 28-jährigen Autors. Hier schießt jemand aus Überzeugung die Sinnangebote unserer Gesellschaft ab: Zuerst muss das intellektuelle, kulturkapitalistische Bürgertum sterben, in der Figur eines Verlegers. Dann rechnet Sternburg mit einem schwarzen Sprayer ab, der pauschal „die da oben“ für alle Ungerechtigkeit verantwortlich macht – eine Konfrontation mit Sternburgs eigener Vergangenheit als Graffiti-Sprüher. Und das Dasein der Touristenfamilie ist hier so überflüssig wie das der Nazi-Oma.
Absehbar aber gelungen, wie Ekat Cordes, Jungregisseur und ebenfalls Autor und Teilnehmer des Stückemarkts, das Publikum rechts und links von einem schmalen Laufsteg platziert, darüber Stangen – man sitzt im U-Bahn-Waggon (Bühne: Anna Bergemann). Auch Schwarzlicht, Stroboskop und Lautsprecherdurchsagen verorten das Stück atmosphärisch im düsteren Untergrundschacht. Cordes inszeniert den Text aber ein ganzes Stück greller, als es bei Sternburg steht. Einen kleinen Gag bauscht er zu einer fünfmal längeren Sequenz auf; Perücken, Papphüte, Konfetti und Neon-Highheels komplettieren die Trash-Show. Gott, bei Sternburg ein eher unscheinbarer Fahrgast, der in Krimis von Arthur Donan Coyle schmökert, macht der Regisseur zum abgehalfterten Schlagerstar, der ballermannbraun und mit blinkenden Lichterketten um den Bauch „Wenn bei Capri die rote Sonne“ schmettert. Anne Müller und Matti Krause, die das ursprünglich männliche Verbrecherpaar ein bisschen zu obercool als Bonnie-und-Clyde-Verschnitt geben, schrumpfen zeitweilig zu grotesken Schaumstoffpuppen und fragen mit verzerrten Stimmen: „Wollen wir poppen?“
Es mag schon sein, dass Sternburgs Stück in einigen Szenen zu spröde geraten ist. Cordes aber schlägt mit seiner aktionistischen Antriebshilfe über die Stränge. Vor allem das höhnische Happy-End, bei dem die Mörder mit ihren wiederauferstandenen Opfern im Speiselokal vereint sind, eine Traumfrau im Arm und dem von Gott getippten Lottogewinn in der Tasche, reichert der Regisseur mit einer knallenden Nebel-Show an – der ironische Wortsinn bleibt dabei auf der Strecke. Hier hätte man ganz auf den scharfen Witz von Sternburgs Dialogen vertrauen sollen.