„Wie wird es sein, wenn sie uns deportieren?“
Auf der Bühne des Gorki Studios geht’s dann zurück zu den Plänen der AfD. „Der Witz ist, dass man sich nie öffentlich traut darüber zu spekulieren, wie es wohl sein wird, wenn sie uns eines Tages deportieren“, sagt Aysima Ergün mit den Worten von Mely Kiyak, die vor fünf Jahren eine prophetische Theaterkolumne zum Thema geschrieben hat. Wer noch immer nicht wisse, wer mit „sie“ gemeint sei, der habe ja wohl „Erbseneintopf in der Birne“. Auch Zeitungen wie „Welt“, Politiker wie Friedrich Merz zählten dazu.
Doch es bleibt einer der wenigen Momente, in denen der Abend garstig komisch wird. Davon abgesehen hält es die Regisseurin Emel Aydoğdu mit dem Geist und Titel des Buchs, an dem sie sich in ihrer Uraufführung nur sehr frei orientiert: Gün Tanks Debütroman „Die Optimistinnen“, 2022 erschienen.
Geschichten migrantischer Arbeiterinnen neu erzählt
Drei Schauspielerinnen und eine Musikerin sitzen auf einer Art Fabrik-Belüftungsrohr auf der kleinen Bühne und stellen sich mit ihrer realen Biografie vor: Sema Poyraz ist eine türkische Migrantin zweiter Generation, Ceren Bozkurt vor sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, Yanina Ceróns Vater ist aus Peru geflohen und bei Aysima Ergün hat schon die Großmutter in Berlin gearbeitet: „Meine Oma hat 20 Jahre im Krankenhaus in Moabit geputzt. Sie hat 20 Jahre lang ihren Körper zur Verfügung gestellt für dieses Land. Aber wenn über Menschen wie sie geredet wird, dann in einer Art und Weise, die mir nicht gefällt. Heute wollen wir diese Geschichten neu erzählen.“
Die Erlebnisse von Nour und ihren Freundinnen Mercedes und Tülay als Arbeitsmigrantinnen, die Gün Tank im Roman auffächert, werden hier nur gestreift. Emel Aydoğdu verknüpft sie mit den Biografien vieler anderer Arbeiterinnen, die sie zu Interviews getroffen hat. Frauen, die hart geschuftet haben und, ähnlich wie im Roman, die Alleinverdienerinnen ihrer Familien in der Türkei waren – während ihre wenigen deutschen Kolleginnen die Erlaubnis des Ehemanns zum Arbeiten brauchten. Nour ist schockiert, als sie aus Istanbul in der Oberpfalz ankommt und deutsche Frauen mit langen Kleidern und Kopftüchern sieht, während sie selbst mit den selbstgenähten Miniröcken angereist ist.
Ohne die „Gastarbeiterinnen“ keinen Streik
Überhaupt räumt der Roman (und die Inszenierung) mit rassistischen Klischees über migrantische Arbeiterinnen in Deutschland auf. Im Zentrum steht dabei der Streik von 1973 beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss. Dieser sogenannte „Wilde Streik“, der eben nicht von Gewerkschaften organisiert wurde, sondern von den migrantischen Arbeiterinnen, ist in die Geschichte eingegangen. 5 Tage lang mobilisierten die Frauen 3000 Beschäftigte, ihre Arbeit niederzulegen. Ohne die Arbeiterinnen aus der Türkei, aus Griechenland, Spanien, Italien wäre die „Leichtlohngruppe II“, die Frauen für die gleiche Arbeit deutlich schlechter bezahlte, wohl erst Jahrzehnte später abgeschafft worden. „Eine Mark mehr!“ – Von dieser Forderung setzten die Frauen immerhin 65 Pfennig pro Stunde durch.
„Wenn über unsere Mütter, Tanten und Großmütter in Deutschland gesprochen oder geschrieben wird, nennt man sie unterdrückt, schwach, unselbstständig oder abhängig“, sagt Aysima Ergün. „Aber unsere Mütter streikten und protestierten, sangen und tanzten.“
Und genau das zeigen sie auf der Bühne. Während Zeitungsartikel von den Streiks der 1970er Jahre eingeblendet werden, tun sich die vier als Freundinnen-Team zusammen, wuchten Kunststoffplatten durch die imaginierte Fabrik, schwenken Protest-Plakate, singen türkische Streiklieder und tanzen kämpferisch über die Bühne. Das wirkt ansteckend: Viele im heterogenen Publikum singen die türkischen Strophen wissend mit, klatschen, manche werden sogar für einen Tanz auf die Bühne geholt.
Beim Unternehmen „Gorillas“ sieht es heute nicht besser aus
Doch weil es in der Gegenwart nicht unbedingt besser aussieht in puncto Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte, zitiert die Regisseurin auch aus einem Interview mit Duygu Kaya. Seit zwei Jahren führt sie einen Rechtsstreit über die unhaltbaren Arbeitsbedingungen beim Lebensmittel-Lieferanten „Gorillas“. Zumindest Kayas Engagement ist ermutigend.
Es entsteht eine ästhetisch unaufregende Inszenierung, mitreißend und herzerwärmend. Den titelgebenden „Optimistinnen“ gibt das Leben oftmals Recht: Gün Tanks Mutter, Azize Tank, von der dieses Buch (auch!) handelt, hat sich von der Arbeiterin in der Porzellanfabrik zur Politikerin im Bundestag hochgekämpft.
Höchste Zeit also, dass unser deutsch-verzerrtes Bild, das wir von migrantischen Arbeiterinnen haben, berichtigt wird – die beste Gegenwehr gegen krude Deportationspläne von Rechtsextremen.