1926 in Paris hatte Hasenclever geradezu sarkastisch gegen das durchökonomisierte Denken und Handeln angeschrieben. Regisseur Frank Grupes betont diese Kritik. Den Kapitalisten macht er aber nicht zur Lachnummer, sondern zeigt einen global agierenden Kaufmann, der seine norddeutschen Wurzeln, damit auch Plattdeutsch verdrängt hat und Hochdeutsch spricht. Das ist auf der Bühne das kühle Kommunikationsmittel der rücksichtslosen Geschäftemacherei und wird auch von anderen Protagonisten bei entsprechenden Anwandlungen genutzt. Am Hochdeutsch erkennst du die Unsympathen. Durch dieses dramaturgisch geschickte Manöver ist auch Plattdeutsch-Puristen eine bilinguale Aufführungen zu vermitteln. Aus theaterpädagogischen und Marketinggründen erscheinen sie notwendig, um ein junges Publikum ans Niederdeutsche heranzuführen. Das Ü70-Stammpublikum stirbt mit seiner Abonnement-Treue ja langsam aus. In den Jahrgängen darunter sinkt die Kompetenz fürs Plattdeutsche rapide.
Gegen die Vernunft-, für die Liebesheirat argumentiert die Mutter op Platt. Lia sei „keen Aktienpaket“, sagt sie, „sondern een jung Deern“. Diese Position konterkariert die Regie, indem sie Beate Kiupel ein äußerst trutschiges Muttchen spielen lässt. Klar, dass Lia lieber dem modernen Managerpapa folgen und jetzt mal das Angebot auf dem Männermarkt genau unter die Lupe nehmen will. Ziel: ein Exemplar zur Unterhaltung zu buchen. Was heute bei Tinder funktioniert, wurde damals per Kontaktanzeige in der Zeitung angebahnt. „Junges Mädchen aus guter Familie, reich und unabhängig, sucht einen Mann zwecks Heirat“, steht da nun. Kennwort: „Zur Sache.“ Mit der Deern ließen sich seine Umsätze steigern, vermutet der Frauenbeglücker Hugo Möbius. Gespielt von Ulrich Bähnk in Wolfgang-Völz-Maske. Eine Mischung aus Callboy-, Escort- und Witwentröster-Service ist sein hochstaplerisches Geschäftsmodell. Für Lia wählt er die Rolle des Weltreisenden, schmeißt sich in Schale, um über ihre Gefühle an ihr Geld zu kommen. Aber Lustspiel-natürlich kommt alles anders als er denkt. Die zum Schweigen verdammten Herzen der beiden pochen wahrhaftig liebeswillig drauflos und kitzeln die Bäuche, als wären dort Flugzeuge unterwegs.
In dem goldenen Rahmen hängt nun ein impressionistisches Park-Gemälde, Vogelgezwitscher und der Kaiserwalzer werden eingespielt, dazu Sitzmöbel in einer der stets swingend dahingetänzelten Umbaupausen hereingeschoben: Blind Date. Die laut Textbuch 19-jährige Lia blickt auf Möbius mit den immer noch aufgerissenen Teenie-Augen und gibt gleich zu, „dat ik böös bang weer vör Se.“ Aber endlich mal „keen Dummbüdel“, frohlockt sie. Scheint er doch ähnlich alt wie der Vater und ist vom selben Kommerzdenken beherrscht. Dazu noch ein galanter Entertainer. Schnell kleben beider Lippen aneinander. Ein von Muttern angeheuerter Privatdetektiv beäugt die Szenerie. Wie aus einem Magritte-Gemälde entsprungen sieht er aus und macht aus seiner Verhaftung durch die Polizei derbkomisches Kasperletheater. Immer wieder leistet sich die Regie selbstironische Kicks ins Absurde. Höhepunkt ist das konsequenterweise hochdeutsche Aushandeln des Heiratsdeals zwischen Lias Vater und Möbius: ein fein choreographiertes Machtspiel – als symbolischer Tanz um ein goldenes Sitzkissen.
Das wie drangeklebt wirkende Happy Verheiratungsende wird dann leider nicht mehr hinterfragt, sondern gefeiert. Papa, der alte Materialist, ist plötzlich ein lustig netter Kerl. Und der zynische Möbius wird als Held umarmt, nachdem er mit einer manipulativen Politikerrede seine Ex-Kundinnen dazu überredet, die emotionale Ausbeutung zu vergessen, schöne Erinnerungsmomente zu kultivieren und ihn nicht als Heiratsschwindler anzuzeigen. Möbius wird daraufhin als mit allen Wassern gewaschener, von Skrupeln freier Unternehmer in Lias Familie und die Firma des Vaters aufgenommen. Das falsche Leben triumphiert im falschen. Die Inszenierung behauptet also, Geld und Nützlichkeitsdenken regiere zwar die Welt, aber romantische Liebe sei parallel möglich – und deutet die Reibungspunkte, Risskanten, Unvereinbarkeiten der beiden Konzepte nicht einmal an. Mit dem durchaus satirischen Regieansatz wäre eine tiefenschärfere Ausleuchtung des Finales nicht nur möglich, sondern notwendig gewesen. So geht die undifferenzierte Schwankfidelität mit der temporeichen Inszenierung durch, die Hasenclevers Pointen auch in der plattdeutschen Übersetzung von Manfred Hinrichs mit lässiger Präzision zünden lässt, sich quietschfidel dem ungerührten Alltagssprachenduktus widmet und aus den Thesenfiguren pralle Volkstheatertypen entwickelt. Ungetrübter Premierenjubel.