Foto: „Das deutsche Haus" im DT Göttingen © Thomas Müller
Text:Jan Fischer, am 27. Januar 2025
In der Universitätsstadt Göttingen inszeniert Philipp Löhle am Deutschen Theater seinen eigenen Text über eine radikale Burschenschaft und damit rechtes Treiben in Stadt und Gesellschaft. Eine gelungene, erschreckende Bestandsaufnahme.
„Schnauze!“ brüllt jemand von hinten aus dem Theater in Richtung Bühne, als es zu viel wird. Klatschen solle man, sagen die vier auf der Bühne, wenn man sie unterstütze, wenn man ihre Ideologie teile, wenn man die Freiheit liebe, die Heimat rein halten wolle. Zu Beginn der Rede klatschen tatsächlich ein paar Menschen im Publikum, amüsiert, unsicher vielleicht, aber das hört schnell auf. Und dann, irgendwann eben: „Schnauze!“, aus voller Kehle. Dabei fängt in „Das deutsche Haus“, inszeniert vom Autor Philipp Löhle am Deutschen Theater Göttingen, alles harmlos an: Lukas (Christoph Türkay), Jurastudent, ist auf der Suche nach einem WG-Zimmer. Und landet, nachdem er sich zu Beginn durch das Göttinger Publikum gefragt hat, bei einer eigenartigen Truppe, die viel Bier trinkt und eigenartige Rituale pflegt. Dafür aber ein unschlagbar günstiges Zimmer im Angebot hat.
Der Muff von 1000 Jahren
Über 40 Studentenverbindungen sind aktuell in Göttingen ansässig, einige davon fallen immer wieder durch ihre Nähe zu rechtsradikalen Ideologien auf. Oft kommt es, weil Göttingen auch eine starke linke Szene hat, in der Stadt immer wieder zu Konflikten, zuletzt eskalierte das in der Stadt 2015, als mit Softair-Waffen auf eine linke WG geschossen wurde oder der Geräteschuppen im Garten einer Studentenverbindung brannte. Das Thema ist also durchaus präsent in der Stadt, wenn es auch auf den ersten Blick etwas muffig anmuten mag.
In „Das deutsche Haus“ findet zunächst eine Grenzverschiebung statt: Immer mehr wird Lukas in die fast kultischen Rituale eingesogen, immer mehr entfremdet er sich von seinem alten Leben, seiner Freundin, brüllt irgendwann das Motto der Truppe, „Omnia pro nobis“ („Alles für uns“) mit. Schließlich ist das Zimmer unschlagbar günstig. Immer mehr wird auch der Staub und der Muff von 1000 Jahren vom Corpsgeist gepustet, immer mehr wird klar: Das ist ein Göttinger Thema, vor allem der schön ekelhafte Gabriel von Berlepsch als „Vollschädel“, also: Anführer der Truppe, Götz Drescher, erklärt, hier, im Haus, würden die zukünftigen Eliten ausgebildet, man müsse gegen den „Kulturmarxismus“ vorgehen, die Aufklärung sei ein Fehler gewesen. Überhaupt: Studieren, sowas richtiges, nicht nur Geisteswissenschaften, das sei nichts für alle. Nur für richtige Männer. Nur für Eliten. Also zum Beispiel die aus den Burschenschaften. Vor allen Dingen aber nichts für Frauen und nichts für Nicht-Deutsche. Obwohl man ja „weltoffen und tolerant“ sei.
Das Haus als Fokalpunkt
Ob das jetzt alles Burschenschaften akkurat abbildet oder nicht, spielt dabei tatsächlich keine Rolle. Es geht um etwas anderes. Inhaltlich werden hier die Attraktivität extrem rechter Ideologien, Patriachat, toxische Männlichkeit und – viele Mitglieder der AfD, aber auch anderer konservativer Parteien sind Mitglieder von Burschenschaften – aktuelle rechte Tendenzen mit dem Haus als Fokalpunkt miteinander verwoben. Und als Lukas am Ende stirbt, wird das auch gleich genutzt, damit die Truppe sich selbst als Opfer inszenieren kann, obwohl sie selbst verantwortlich ist. Das Bühnenbild von Thomas Rump bietet dabei zwei Highlights: Einmal, gegen Ende, ein spinnenartiges Laborgerät, das von der Bühnendecke hängt, mit dem Hirn und die noch zuckende Wirbelsäule der Hausbewohner entfernt werden – eine herrlich eklige und blutige Horrorszene. Dann ist aber auch die Bühne eine genau angepasste Fortführung des Zuschauerraums in all seiner traditionell plüschigen Goldsäuligkeit. Ein Kommentar zur biederen Bürgerlichkeit des Theaters? Dazu, dass rechtes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dass wir alle Teil davon sind? Ein Wortspiel – deutsches Haus, Deutsches Theater? Das wird nie so ganz klar, vielleicht ist es alles davon ein wenig.
Horror und Fremdscham
Es ist jedenfalls ein großes Projekt, dass sich Philipp Löhle aufgebürdet hat: rechte Argumentationen offenlegen, Mechanismen von Vereinnahmung zeigen, das alles, ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln. Und tatsächlich gelingt das, weil das Verbindungshaus als Absprungbrett das alles im Kleinen zeigen kann, aber immer auch im großen auf all die anderen verschlossenen Türen verweist, hinter denen sich Menschen immer weiter radikalisieren. Es gelingt auch, weil Löhle sich nicht davor scheut, Unaussprechliches mit den Mitteln des Horrors auszusprechen – einmal greifen auch Zombiehände von überall hinter den Kulissen nach Lukas. Und hin und wieder sogar lustig zu sein, schließlich sind die ganzen Rituale der Burschenschaftler, ihre Hierarchien, ihr Vokabular, auch ein wenig lächerlich, manchmal auch zum Fremdschämen. Aber eben immer auch: Auf eine Art unerhört, gefährlich, denn irgendwer, irgendwo, vielleicht gar nicht so weit weg vom Theater in Göttingen, nimmt den ganzen Quatsch ernst. Da ist ein lautes, beherztes „Schnauze!“ vielleicht nicht die schlechteste Reaktion.