Frank Seppeler, Edgar Selge und Sarah Hostettler in Dusan David Parízeks Inszenierung „Faust 1-3“ am Schauspiel Zürich.

Goethe minus Jelinek gleich Gretchen?

Elfriede Jelinek/Johann Wolfgang von Goethe: Faust 1-3

Theater:Schauspielhaus Zürich, Premiere:08.03.2012Regie:Dusan David Parizek

„Faust 1-3“ verspricht das Schauspielhaus Zürich: Zwei Teile Goethe, ein Teil Jelinek, und zwar in unter zweieinhalb Stunden. Für die österreichische Nobelpreisträgerin ist ihr „FaustIn and Out“ ein weiteres „Sekundärdrama“, das sie als Reaktion (und Assoziation) auf den Klassiker gespielt haben will – und nie ohne ihn, wie das Interview im Programmheft klarstellt, sondern das „kläffend neben dem Klasiker herlaufen soll“. Regisseur Dusan David Parizek interpretiert diese Idee großzügig: Jelinek wird zunächst mit einer guten Handvoll Zuschauer in den Keller verbannt. Darum geht es im Text immer wieder, um die Opfer des Falls Fritzl oder Kampusch, weggesperrte Frauen. Was dort unten genau läuft, bekommt das normale Premierenpublikum im Pfauen-Theater lange nicht mit. Es bekommt seinen Goethe.

Oder vielleicht besser: Es bekommt seinen Goethe-Verschnitt. Edgar Selge und Frank Seppeler servieren ihn im Smoking und aus der ersten Parkettreihe. Wie fachsimpelnde Premierengäste vor der Vorstellung schleichen sie sich mit dem „Vorspiel auf dem Theater“ in den Anfang: Hier der zerknitterte Künstler Selge, dort der unterhaltungstrunkene Showman Seppeler: Ein lustvoll spielendes, sich gut ergänzendes Duo. Das Vorspiel im Himmel wird schon zum Theater im Theater: Die erste, aber nicht einzige Clown-Nummer der beiden Darsteller, die sich mit Verve in den konstanten Konkurrenzkampf werfen. Denn sie sind Faust und Mephisto. Und der Famulus und der Pudel. Und was es halt sonst grad noch so braucht. Es steht ja im omipräsenten Allgemeinrequisit, einer ledergebundenen Faustausgabe.

Bühnenbildnerin Kamila Polikova hat dafür einen leeren Würfel auf die ersten Sitzreihen gebaut, dahinter gähnt der leere schwarze Bühnenraum. Ganz beiläufig und ohne Klassiker-Odium rutscht man ins „Habe nun ach“ und damit in der Tragödie ersten Teil. Fließend wechseln die beiden Darsteller die Figuren, die zwei Seelen in der Brust eben, aber dem Verständnis hilft das nur sehr bedingt. Parizek interessiert nicht die Handlung, die wird nur knapp angedeutet. Im Zentrum stehen Gespräche, von denen man hier nie recht weiß, ob ein Monolog aufgeteilt wurde oder wer jetzt im Dialog wessen Position vertritt. Dafür wird gestritten und geflachst, Kleider ausgezogen und das Publikum in ein „Ewige Jugend“-Ritual mit einbezogen. Wer seinen „Faust“ nicht sehr präsent hat, ist (anders als etwa in Stemans Achtstundenversion, die auf den ersten Blick ähnlich funktionierte) rasch verloren oder ergibt sich den Assoziationsketten.

Gretchen spart Parizek lange auf: Zuerst die Künstler, die Männergeschichte (ist es eine Komödie oder ist es eine Tragödie?), dann die Gretchentragödie in Jelineks Übermalung. Nach zwei fremdkörperartigen Video-Einblendungen aus dem Keller schlägt Faust mit einer Axt („der Schlüssel, der zu den Müttern führt“, man ist offenbar im zweiten Teil angekommen) den Bühnenboden auf und holt drei mädchen-rüschenhafte Frauen und die Keller-Zuschauer auf die Bühne: „Mein schönes Fräulein darf ich’s wagen…“ Die Männer fragen mit Goethe, die Frauen antworten mit Jelinek. Erstaunlicherweise wird der Abend dadurch sofort klarer. Versatzstücke wie die charakterisische Schminke oder der Federhut aus Gründgens‘ Faust-Verfilmung machen die Frauen als FaustIn und GeistIn aus Jelinkes Text kenntlich. Sie fungieren als Schwestern oder weibliche Leidensgenossen Gretchens – malträtierte Figuren aus dem Keller, die frei assoziativ auf Stichworte und Zitate reagieren.

Es ist berührendste Szene, wenn Sarah Hostettlers Gretchen die beiden Fäuste minutenlang unbedingt küssen will, aber sofort in eine aggressive Abwehrhaltung kommt, sobald sie einer nur zart festhalten will. Der Rest ist bekannt: Liebe, Muttermord, Kind, Kerker. Jelineks harte Ergänzungen wirken wie Faustschläge. Man hätte gerne mehr davon gehört. So einfach wie die Gleichung am Schluss macht es uns Jelinek nämlich nicht: „Ziehen Sie selbst den Mann von allem hier ab – subtrahieren können sie ja.“