Foto: In Liebe zu Radamès vereint: Jeniece Golbourne als Amneris und Lina Liu als Aida. © Jörg Landsberg
Text:Detlef Brandenburg, am 16. März 2012
Verdis „Aida“ ist für eine Bühne von der Größe des Theaters Osnabrück eine Herausforderung. Man muss sich das nur einmal quantitativ klarmachen: 130 Personen sind beteiligt an Yona Kims „Aida“-Inszenierung – das ist in einem „Großen Haus“, in dem rund 600 Zuschauer Platz finden, mit einem Orchestergraben, in dem es schon ab 50 Musikern eng wird, eine Menge Mensch. Und wenn das Osnabrücker B-Orchester dann auch noch durch die _Bläserphilharmonie Osnabrück_ verstärkt wird, die im Triumphmarsch als Banda an den Seiten der Bühne Aufstellung nimmt, dann erschüttert die Klangwucht der Orchester-Phalanx mit den Aida-Trompeten von der Empore das ganze Haus. Es ist eine beachtliche Leistung, dass der Dirigent der Aufführung Daniel Inbal diese Klangmassen zu einem erstaunlich profilierten Ganzen zu formen versteht, sehr plastisch in den Konturen, rhythmisch spannungsgeladen, dabei dynamisch aber ausgesprochen diszipliniert.
Ebenso beachtlich ist, dass man für die fünf Hauptpartien Sänger hat, die mit bemerkenswerter Courage bei der Sache sind. Die eindrucksvollste Figur ist die schwarze Amneris der Jeniece Golbourn: eine faszinierende Powerfrau mit großer Bühnenaura und einem Mezzo, dessen Brustregister eine geradezu Furcht einflößende Durchschlagskraft entwickelt und der in der Höhe mit gleißender Emphase lodert. Lina Liu ist eine sehr lyrische, erstaunlich mühelose Aida mit knabenhaft festem Sopran von großer Innigkeit. Ricardo Tamura singt den Radamès mit bolzenstabiler Geradlinigkeit. Genadijus Bergorulko ist ein Ramfis mit balsamischem Bass, der die Gefährlichkeit des leisen Intriganten ausstrahlt. Und Daniel Moon schließlich gibt dem Amonasro dunkelvirile Kraft. Das Orchester agiert sattelfest, der von Holger Krause geleitete Chor ist enorm präsent – die ganze Produktion ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Leistungsfähigkeit eines kleinen Stadttheaters.
Die Regisseurin Yona Kim hat mit Sängerdarstellern, die schon mit den vokalen Anforderungen so ausgelastet sind, dass die schauspielerischen Ressourcen überschaubar sind, eine bemerkenswert präzise Personenführung erarbeitet, die alles darauf anlegt, in kammerspielartig ausgefeilten Szenen den für die Handlung zentralen Antagonismus zwischen privater Neigung und politischem Zwang herauszuarbeiten. Repräsentant dieses Zwangs ist Ramfis, dessen Rolle Kim deutlich zuspitzt: ein Strippenzieher von eiskalter Ungerührtheit, der mehr noch als der politischen Notwendigkeit seiner eigenen Machtgier dient. Er beobachtet die Absprache zwischen Aida und ihrem Vater Amonasro, Radamès die Marschroute der ägyptischen Truppen zu entlocken, vom ersten Moment an und lässt den Feldherrn absichtsvoll in die Falle tappen. Und er inszeniert dessen Verurteilung offenbar vor allem für Amneris – bei der Gerichtsszene ist er mit der Pharaonentochter allein auf der Bühne und treibt sie mit seinen Schuldsprüchen gezielt in den Wahnsinn. So vernichtet er beide legitimen Erben der Königsmacht – und legt sich am Ende selbst jenen ordenstarrenden Königsmantel an, in dem in den ersten beiden Akten „Il re“ sklerotisch vergreist über die Bühne gewankt war.
Das karge Bühnenbild von Étienne Pluss und ihre stilisiert historisierenden Kostüme lenken die ganze Aufmerksamkeit auf Kims genaue, die Figurenkonstellationen zuspitzend zurechtrückende Personenführung: Ein weißer Plafond deckt ein kahles Bühnengeviert, bisweilen senkt er sich bedrohlich herab. Allerdings interpretiert Kim „Politik“ hier doch etwas plakativ als Ränkespiel eines finsteren Charakters statt als gesellschaftliches Phänomen. Denn die ägyptische Gesellschaft mit ihrer etwas derangierten Soldateska und den hüftwiegenden Revue-Tempeltänzerinnen in glitzernder Goldlamée strahlt eher operettenhafte Harmlosigkeit als repressive Gefährlichkeit aus – daran ändern ein paar im bemühten Theaterrealismus leidende Gefangenen auch nicht wirklich etwas. So aber bleibt am Ende eine ganze Dimension von Verdis „Aida“ unterbelichtet. Und dass hier Radamès nicht etwa in der Pyramidengruft stirbt, sondern auf offener Bühne, wo Aida ihm den Gnadenschuss gibt, bevor sie mir ihrem Vater flieht – das bleibt dann doch ein etwas konzeptlos drangeklebter Schlusscoup. Wenn nämlich selbst Aida die Staatsräson über die Liebe stellt und von Radamès abfällt, wird Verdis Liebesideal beschädigt. Dabei wäre doch dieses Ideal das Einzige, was hier ein Gegengewicht zur Politik bilden könnte. Schade.