Emmerich Kálmáns (1882-1953) Erfolgs- und Prunkstück der Silbernen Operettenära passt ganz gut. Die Nachfolgerin seiner „Csárdásfürstin“ war bei der Uraufführung 1924 noch einmal ein durchschlagender Erfolg. Nach 300 Aufführungen in Wien landete „Gräfin Mariza“ schon zwei Jahre später am Broadway. Was neben Kálmáns musikalischem Einfallsreichtum wohl auch daran gelegen haben mag, dass für die Wiener in diesem Bühnen-Blick zurück in die k.u.k.-Vergangenheit Ungarn immer noch dazu gehörte. Andererseits blitzt aber auch die Offenheit für Neues durch, wenn sich plötzlich die Gegenwart mit ihren ganze anderen Tanzrhythmen zu Wort melden. Was trotz des in ein ungarisches gräfliches Schlossgut verlegten Schauplatzes passt. Denn die Operette spielt genau im Uraufführungsjahr.
Dort gibt es das genretypische Spiel mit den Identitäten der Akteure, samt der obligaten Liebesgeschichte und ein wenig Störfeuer von Konkurrenten und neben dem ersten noch ein zweites Liebespaar. Vor allem Walzer-Seeligkeit und Csárdás-Rhythmen machen hier das Happyend unausweichlich.
„Gräfin Mariza“ ist – zumindest bei den Freunden des Genres – immer noch ein populärer Hit. Manche der Nummern sind im kollektiven Gedächtnis verankert. Ob nun zu „Komm mit nach Varasdin“ oder dem „Komm, Zigan, komm, Zigan, spiel mir was vor“ – die Melodie dazu stellt sich quasi von selbst neben den Text. Wobei jener Musiker, den der Graf Tassilo da zum Aufspielen auffordert, jetzt offenbar dem Furor der übers Land rollenden Sprachbereinigung geopfert wurde und zum „Freund“ avanciert (oder nicht doch eigentlich verfälscht?) ist. Neben dieser (a)historischen Besserwisserei, die hoffentlich nicht zum allgemeinen Sprachdogma wird, kann man sich über etliche Wortspielereien amüsieren, die vor allem Penižek, der mit seiner literarischen Bildung angebende Kammerdiener der Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz, bei jeder Gelegenheit einstreut. Angela Mehling und Milko Milev machen aus dem Besuch dieser exaltierten, auf „Ewig jung“ operierten alten Dame unterm Riesenhut ein komödiantisches Kabinettstück. Wenigstens die beiden stehen für Witz und Tempo in der ansonsten zu betulich daherkommenden Inszenierung von Ulrich Wiggers in der Ausstattung von Leif-Erik Heine.
Um deren musikalische Seite bemüht sich Tobias Engeli mit seinen Musikern im jetzt absenkbaren Orchestergraben redlich. Er ist dabei deutlich erfolgreicher als die Tontechnik beim Aussteuern der Protagonisten. Hier gilt freilich – wie bei jedem Stream – der Wohnzimmervorbehalt. Aber das war technisch vergleichsweise dann doch recht unausgewogen. Dass es auf der Bühne von der Pandemie dem Genre gegen seinen Herz-Schmerz-Liebe-Kern aufgezwungene Abstände gibt, wird immerhin mit Selbstironie entschärft.
Vom Ensemble hinterlässt Adam Sanchez als jener Graf Tassilo, der eine Weile den Verwalter bei der Gräfin mimt, mit seinem zackigen Tenor den stärksten Eindruck. Verständlich, dass ihm die Mariza von Lilli Wünscher am Ende nicht widerstehen kann. Jeffery Krueger trägt als Baron Zsupán die Ungarnfolklore im jugendstiligen Salon zur Schau und ist zusammen mit Tassilos Schwester Lisa (Miriam Neururer singt in der Rolle deutlich besser als sie tanzt) das präsente Buffopaar im Stück. Der von Matthias Drechsler gut präparierte Chor bleibt unsichtbar, weil er diesmal von den neuen Rängen aus singt.