Foto: "Giselle" am Theater Koblenz. © Matthias Baus
Text:Hartmut Regitz, am 22. Mai 2012
”Ridendo corrigo mores” liest sich die Absicht des Theaters über dem Bühnenportal, und möglicherweise wäre Giselle tatsächlich geholfen, gäbe es in ihrem Leben etwas zu Lachen. Doch so, wie Steffen Fuchs ihre balletthistorische Befindlichkeit interpretiert, nämlich als eine bipolare affektive Störung, bedingt ihr Handeln eine Depression, die u. U. zum Tode führen kann. Giselle, so argumentiert der Choreograf, kann aufgrund einer Herzerkrankung nicht wie die anderen Winzerinnen ihrer Arbeit nachkommen. Sie steigert sich deshalb in ein Außenseitertum hinein, das sie allein im Tanz überwindet. Der Tanz ist ihr einziges Kommunikationsmittel – und wenn einer wie Loys sie tanzend überzeugt, gibt sie sich ihrem Gefühl völlig hin. Dass er in Wirklichkeit Albert heißt und wie ein Playboy ihr Vertrauen arg missbraucht, ist für sie ein Schock, dem sie am Ende auf welche Weise auch immer erliegt.
Im Vergleich zu anderen ”Giselle”-Aufführungen wird in Koblenz kaum einmal gelacht. Das verhältnismäßig kleine Ballettensemble agiert zunächst wie ein Block, und seine kantigen, versteiften, gewichtigen Bewegungen lassen ahnen, wie schwer die Arbeit auf den Körpern lastet. Grau ist jedenfalls der Alltag und ohne allen Schmuck die symbolkräftige Bühne von Dorit Lievenbrück, die eher an eine Scheune erinnert als an einen Dorfanger, auf dem die Weinlese einen krönenden Abschluss findet. Links ist einzig das Portrait eines jungen Mannes zu sehen, und das ziert bezeichnenderweise eine Trauerschleife. Vaterlos, ist Giselle der Obhut einer allein erziehenden Mutter anheimgegeben, und die wacht über Wohl und Wehe ihrer Tochter wie mit Argusaugen. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, ist Melanie Bürkle die Unerbittlichkeit in Person, und umso williger wirft sich Giselle in die Arme Alberts, der sie mit einem Paar Ballettschuhen zu einem Virtuosentanz verlockt, dem die Arme eigentlich gar nicht gewachsen ist. Doch Yao-Yi Hsu stellt seine Partnerin so auf die Spitze, dass sie sich in Sicherheit wiegt – und frei entfaltend, gibt Yolanda Bretones Borra der Leichtigkeit des Seins eine Gestalt, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine um die andere Tänzerin wird hineingezogen in eine erfinderische Choreografie, die bei aller Abstraktion immer etwas Kindlich-Spielerisches hat.