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Giovannis Kameramann

Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni

Theater:Staatsoper Hannover, Premiere:17.05.2014Regie:Benedikt von PeterMusikalische Leitung:Benjamin Reiners

Benedikt von Peter ist der Auslassungskünstler der Opernszene. In seiner Hannoveraner „La traviata“-Inszenierung hat er die Violetta mutterseelenallein auf die Bühne geschickt. Und in seiner Bremer „La Bohème“ hat er Mimi und Musette ins Off verbannt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis auch eine ausgewachsene Titelfigur diesem Reduktionsfuror zum Opfer fallen würde. Jetzt, bei der Premiere von „Don Giovanni“ an der Staatsoper Hannover, ist es passiert – es traf also den Helden der Liebe schlechthin. Das geht _gar nicht_ – denkt man. Und ist am Ende doch wieder erstaunt, wie intelligent der 37-jährige Opernregisseur die Lücke, die er einer vom Publikum heißgeliebten Repertoireoper zufügt, genau dort platziert, wo der Weg tief hinein ins Herz des Werkes führt. Allerdings waren die theatralen Verluste diesmal größer als bei den anderen genannten Abenden, so dass man die Grenzen des Prinzips Auslassung deutlicher spürte.

„Don Giovanni“ ohne Don Giovanni also. An seine Stelle tritt in gewisser Weise der Kameramann Jonas Schmieta. Er ist quasi das Auge Giovannis, durch das er – und mit der Kamera auch die Zuschauer – auf die Figuren blickt. Dieser Blick, ganz nah draufgehalten auf die Gesichter, zeigt den Zuschauern wiederum, wie die Frauen (und gelegentlich auch die Männer) auf Don Giovanni blicken. Und man sieht: Der Verführer ist eigentlich nur der Spiegel ihrer eigenen Sehnsucht, die er auf rätselhafte Weise zu wecken vermag.

Damit ist von Peter doch wieder sehr nah bei Mozart, dessen Liebesheld in den Reaktionen der anderen ja tatsächlich viel präsenter ist als in seinen eigenen Aktionen – Aktionen, die allesamt scheitern, weil diese anderen aufgeklärt, vernünftig und tugendhaft geworden sind. Sie haben das Zutrauen in ihre Sinnlichkeit verloren. Und indem sie Giovanni zur Hölle schicken im Namen eines Moralgesetzes, für das in dieser Inszenierung der Komtur steht, reißen sie sich letztlich ihre eigene Sehnsucht aus dem Leib – und stehen am Ende ziemlich verstümmelt da, das macht von Peter in den Szenen des zweiten Aktes sehr deutlich. „Das Ende der Bösewichter ist ihrem Leben immer angemessen“, singen sie nach Giovannis Höllenfahrt, in schwarzer Abendgarderobe auf dem Rang im Zuschauerraum stehend. Genau das gilt aber auch für das Ende der Tugendsamen, und es ist sehr die Frage, welches Ende trostloser ist. Die Inszenierung ist damit in der Gegenwart und bei der Frage angekommen, wie wir es heute mit ehelicher Treue und sinnlicher Unmittelbarkeit halten.

Der Kameramann: Wir sehen seine Bilder riesengroß auf einem Schleierprospekt direkt hinter dem Portal. Und viel mehr hat Katrin Wittig auch nicht aufgeboten als Bühnenbild, auch die zwischen altmodisch (Leporello) und heutig (Masetto und Zerlina) changierenden Kostüme von Geraldine Arnold folgen dem Ausstattungsprinzip des Understatements. Hinter dem Prospekt ist sozusagen die Liebeshöhle des Don Giovanni verborgen, in diese Hinterwelt hat die Tugend der Aufgeklärten den Libertin bereits verbannt. Aber sie verirren sich, getrieben von Sehnsucht, doch immer wieder dorthin auf ihrer Suche nach Giovanni, dem der Kameramann permanent über die Schulter schaut (es muss wirklich ein inniges Miteinander zwischen dem Giovanni-Sänger und seinem filmenden Alter Ego sein!). Die Zuschauer sehen von dieser Hinterwelt nur düstere Schatten (Videokonzept: Bert Zander, Licht: Susanne Reinhardt), und sie sehen von Giovanni nur die behandschuhten Hände – in den Großaufnahmen auf dem Schleierprospekt streicheln sie immer wieder über die Gesichter und Körper der anderen.

In diesen Gesichtern zu lesen und in ihrem Mienenspiel Don Giovanni indirekt zu entdecken: Das ist faszinierend, bliebe aber arg steril, wenn es nicht einen gäbe, der mit behänder Leichtigkeit zwischen den Welten wechselt und sozusagen den Cicerone der Sehnsüchtigen und den Showmaster des Liebeshelden gibt: Leporello, den der auf geschmackvolle Weise hochkomödiantische Shavleg Armasi mit der ganzen Schlitzohrigkeit des Strizzi gibt und mit charaktervoller, alerter Stimme singt: eine tolle darstellerische Leistung! Das gilt auch für alle anderen Beteiligten, die teilweise wirklich mit der Intensität guter Filmschauspieler agieren. Und trotzdem – und trotz aller unbestreitbaren konzeptionellen Klugheit – ist es ein spürbarer Verlust an musikdramatischer Präsenz, dass so ein erheblicher Teil der Aktionen nur im Video sichtbar sind. Zumal das Singen hinter dem Vorhang Einbußen der stimmlichen Präsenz mit sich bringt. Insofern ist es zwar nicht immer konsequent, aber doch wohltuend, dass immer wieder auch Szenen vor dem Vorhang spielen, mit Giovanni als Stimme aus dem Off.

Mag sein, dass diese ungewöhnliche Raumsituation der Grund war, dass bei einigen Sängern die Verhältnisse von Laut und Leise etwas aus dem Lot waren. Das zu regulieren wäre allerdings auch Aufgabe des Dirigenten Benjamin Reiners gewesen, der insgesamt schlank und impulsiv dirigierte, dem Geflecht der Linien und der rhythmischen Koordination aber nicht immer den nötigen Feinschliff gab. Monika Walerowicz sang eine hochdramatische Donna Elvira mit großer Stimme und ebensolcher Intensität, aber in den feinen Koloraturen fehlte ihr einiges an Geschmeidigkeit, und ihr Forte wirkte überforciert. Letzteres war ähnlich bei Dorothea Maria Marx‘ Donna Anna, die aber vom Stimmtyp her weicher und lyrischer und damit näher an der Partie war und ebenfalls sehr ausdrucksvoll gestaltete. Und Heather Engebretson war eine koloraturig funkelnde Zerlina, manchmal etwas zu soubrettenhaft, beizeiten aber mit schöner, leuchtender Tragkraft. Den Don Giovanni interpretierte Brian Davis hier natürlich unter erschwerten Umständen und verortete ihn zwischen bassgestützter Klangmacht und schmeichelnder Zartheit, was sich nicht so recht zu einem profilierten Ganzen fügte. Abdellah Lasri gab einen virilen Don Ottavio, tat sich aber schwer mit den Legato-Koloraturen dieses weichbeseelten Liebhabers. Und Daniel Eggert gab einen etwas grobklotzig-derben Masetto, was aber ja zur Partie passt.

Beide, Ottavio und Masetto, sind ja undankbare Partien – die Männer der Giovanni verfallenen Frauen haben’s halt schwer in dieser Oper. Nur einer vermag dem Verführer auf Augenhöhe zu begegnen – vielleicht, weil er sein komisches Alter Ego sein könnte. Genau so inszeniert Benedikt von Peter den Leporello, den man zu Beginn fast für Giovanni halten könnte, so wie er da lässig, arrogant, im etwas altmodischen Anzug von grauer Eleganz und mit schwarzem, zurückgegeltem Haar die Bühne betritt. Aber als er die Lampen für das Don-Giovanni-Varieté am Rand der Bühne einschraubt, kapiert man: Der ist nicht der Star einer untergehenden Herrlichkeit, der ist nur das Faktotum der männlichen wie die der weiblichen Welt. Deshalb muss er auch nicht mit hinabfahren. Den Verführer haben die Tugendsamen in die Unterwelt verbannt. Den Zuhälter werden sie genau darum umso nötiger brauchen.