Davíd Gaviria im Bühnennebel

Die Welt retten bei 50 Grad

Kim Stanley Robinson: Fifty Degrees of Now

Theater:Stadttheater Gießen, Vorlage:Das Ministerium für die ZukunftAutor(in) der Vorlage:Kim Stanley RobinsonRegie:Simone Sterr

Die Hessischen Theatertage stellen Klimapolitik ins Zentrum: In „Fifty Degrees Of Now“, der Eröffnungs-Premiere am Stadttheater Gießen, ist die Klimakatastrophe bei 50°C bereits eingetreten und ein „Ministerium für die Zukunft“ soll Maßnahmen für die überlebende Menschheit finden. Die Inszenierung von Simone Sterr sucht ein Gleichgewicht zwischen Utopie und Dystopie – und begeistert ein auffallend junges Publikum.

Frank war so gut wie tot. Dramatisch hohe Temperaturen haben in Indien zum Tode von 20 Millionen Menschen geführt, nur er hat überlebt. Solche Ereignisse werden häufiger, weiß Frank, der jetzt als universaler Flüchtling durch sein Leben streift. Was kann noch helfen gegen die Klimakrise? Technische Eingriffe in die Atmosphäre? Ökonomische und finanzpolitische Maßnahmen? Attentate auf Verantwortliche? Die Antwort soll eine Konstruktion namens „Ministerium für die Zukunft“ liefern.

Das Ministerium wurde gegründet, um Chancen für die Rettung der Welt zu erkunden. Es hat keine exekutiven Rechte, vergleichsweise geringe finanzielle Mittel und ein wissenschaftlich kundiges und engagiertes Personal. Mary, die Ministerin, koordiniert Fachressorts für Artenvielfalt, Geoengineering, Finanzpolitik, Recht, Glaziologie. Frank, der legalen Mitteln misstraut, denkt eher an gezielten Terror. Mary, die er vorübergehend in seine Gewalt gebracht hat, will das auf keinen Fall. Dass es in ihrem Ministerium eine – vor ihr selbst geheim gehaltene – Abteilung gibt, die sich damit befasst, mag sie kaum glauben.

Zwischen Hoffnungslosigkeit und Utopie

Das ist die komplizierte Ausgangslage. „Fifty Degrees Of Now“, konzipiert von Simone Sterr und Tim Kahn, folgt Motiven aus Kim Stanley Robinsons Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ und balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Hoffnungslosigkeit und handlicher Utopie. Intendantin Simone Sterr führte Regie. Das Publikum ist verteilt auf Zuschauerraum und Hinterbühne und wird so selbst Teil der Inszenierung. Die Bühne (Sabina Moncys) beschränkt sich ökonomisch auf ein knapp bemessenes Zeichen-Repertoire und prägnante Videoeinspielungen (Marcin Przybilla). Sieben Darsteller:innen tragen die Inszenierung. Über allem schwebt, als unterschiedlich färbbare große Papierkugel – unser Fixstern.

Über allem: unser blauer Planet

Über allem: unser blauer Planet. Foto: Lena Bils

Ein bisschen natur- und politikwissenschaftliche Bildung ist zum Verständnis des Stückes nötig: Was bedeutet Kühlgrenztemperatur? Wie ist das Weltwährungssystem verfasst und warum stabilisiert es den räuberischen Kapitalismus? Warum rutschen Gletscher abwärts? Wie dramatisch sind auftauende Permafrostböden und Artensterben?

Das Stück zerfällt in zwei dramaturgisch ungleichgewichtige Teile. Der erste sammelt Fakten und hat phasenweise den Charme einer wohlinformierten, mehrstimmigen WG-Diskussion, gegen den sich die sieben Darsteller:innen mit intensivem Engagement, aber zuweilen vergeblich stemmen. Viel Wissenschaft muss popularisiert werden und zeigen, dass im Ministerium entscheidende Fäden zusammenlaufen.

Fazit dieses Teils: Wer moralisch integer bleiben will, kann wenig tun gegen die globale Katastrophe. Wer das nicht will, erreicht auch nicht unbedingt mehr. Zu verdichtet ist der Zusammenhang der Mächte des Bestehenden und der Verharmlosung. Das schwüle Wetter draußen spielte seine dramatische Rolle effektvoll.

Was von der alpinen Natur übrig ist

Der zweite Teil beschert dann eine leichtgängige Utopie. Die offenen und verdeckten Maßnahmen des Ministeriums tragen Früchte und generieren einen eigenen Zusammenhang, in dem sich die globale Ökologie möglicherweise wird erholen können. Mary geht in Pension und entdeckt mit Frank die alpine Natur oder was von ihr übrig ist, das Ministerium wird in kompetente Hände weitergereicht.

Die übergreifende Geste dieser Produktion will Hoffnung machen. Der Eindruck, dass das utopische Moment ein geringeres dramaturgisches Gewicht aufweist als das dystopische, dass das Stück es sich also, plakativer formuliert, zu leicht macht, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Wie insgesamt der Eindruck, dass „Fifty Degrees Of Now“ stärker politisch-pädagogische Zwecke verfolgt als dramatische. Deutlich wird beim Premierenbeifall aber, dass das Gießener Stadttheater mit Erfolg jüngeres Publikum anzulocken begonnen hat und zufrieden stellt.