Foto: Steffen Siegmund, André Szymanski, Christina Geiße und Cathérine Seifert (v.l.n.r.) in einer Szene aus Anne Lenks Inszenierung von Jonas Hassen Kheimiris "=[Ungefähr gleich]" am Hamburger Thalia Theater. © Krafft Angerer
Text:Michael Laages, am 14. September 2015
Jaja – was ein Dietrich gegen eine Aktie und was der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank sei, fragte rhetorisch Bert Brecht (und mit ihm der junge Macheath in der neuen Hamburger „Dreigroschenoper“ im Thalia-Blick von Antú Romero Nunes); und „Von der belebenden Wirkung des Geldes“ ließ Brecht kurz darauf auch singen. Zwischendurch versuchte er sich obendrein (in „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“) an der theatralen Aufklärung über die Strukturen von kapitalistischem Handel und Wandel. Brechts dramatische Theorien allerdings über das Wesen der Wirtschaft gelten nicht unbedingt als die stärksten Stücke des Schreibers. Das liegt auch am Sujet – Wirtschaft an sich zählt zu den extrem schwer erspielbaren Themen auf der Bühne. Das erfuhren nach Brecht viele; das erfährt mit „=[Ungefähr gleich]“ jetzt auch der zeitgenössische schwedische Dramatiker Jonas Hassen Kheimiri; die deutschsprachige Erstaufführung zeigt das Hamburger Thalia Theater – sinnreicherweise in direkter Spielplan-Nachbarschaft zu Brechts Klassiker von den drei Groschen.
Kheimiri hat sich für die eigene Wirtschaftsanalyse auf das Binnenverhältnis von Geld und Wert konzentriert: Was bekommen wir eigentlich für wie viel? Er führt dafür einige theoretische Muster ins Feld; und damit unter anderem den niederländischen Kakao-Mogul von Houten. Bevor der das eigene Erfolgsunternehmen verkaufte (um in Afrika alternatives Leben auszuprobieren), entwarf er eine Art Formel; und die Inszenierung von Anne Lenk probiert die zunächst an sich selbst aus. Wie viel Wert ist im (oder steht auf dem) Spiel zum Beispiel bei der Investition des Zuschauers in einen Theaterbesuch? Nach von Houten: der Preis einer Karte multipliziert mit allen verkauften Tickets. Eine junge Amerikanerin, deren Familie gerade in einem Banken-Crash alles Geld verloren hat, ergänzt van Houten – die Zeit sei hinzuzufügen und der Wert, der vor-investiert wurde, etwa mit An- und Abfahrt vom und zum Theater. Außerdem lässt Kheimiri vorrechnen, wie eine Gesellschasft zu Grunde geht, wenn sie immer mehr unrückzahlbare Kredite aufnimmt …
Aber natürlich ist „=[Ungefähr gleich]“ keine papierene Theorie. Der Autor markiert in kurzen, trickreich verzahnten Szenensplittern das Scheitern realer Menschen in und an der realen Wirtschaftswelt – ein Junge bekommt trotz guter Bildung keinen Job, nur als Aushilfe im Kiosk an der Ecke; die Angestellte dort hasst die eigene Arbeit und würde viel lieber einen Öko-Hof bewirtschaften; der Mann dieser Frau bekommt als Wirtschaftsdozent an der Uni keine feste Anstellung. Und eine Frau schubst eine andere vors Auto, um erst die Ersthelferin zu mimen und dann deren Tasche zu klauen. Ihnen allen steht Peter gegenüber, ein Bettler, der nie auftritt, von dem aber immer wieder die Rede ist; der Dozent sieht ihn schon als Lover der Gattin. Lebt dieser Peter womöglich frei, da er sich ja den Geld-und-Wert-Theorien zu entziehen scheint? Und hilft womöglich nur der eigene Tod gegen den Zwang der Wirtschaft? Mani, der Ökonom, imaginiert ihn – nach der letzten Vorlesung, an deren Ende er die Studierenden auffordert, mit dem erworbenen Wissen aufzustehen, raus zu gehen und gefälligst die Welt zu verändern.
Kheimiris Stück hat das Zeug zur klug gewichteten Versuchsanordnung. Und Anne Lenks Inszenierung folgt ihm zunächst auch – mit Judith Oswalds sehr starker Bühne: einer Industrie-Waage in Wippen-Form, auf der zu Beginn ein Kupfer-Berg von abertausenden Ein-Cent-Münzen thront. Die Menschen (also die vier Ensemble-Mitglieder) zerstören dieses Gleichgewicht, sie müssen es am Ende durch das eigene Körper-Gewicht -und also ohne Geld!- wieder herstellen. So klug agiert und akzentuiert die Aufführung aber nicht immer. Den Schoko-König van Houten lässt sie als sprechenden Schoko-Riegel, die amerikanische van-Houten-Ergänzerin gar als etwas dummerhafte Miss Piggy aus der Muppets Show auftreten. So kommt ohne Not erstaunlich viel Unernst ins Spiel; und das bekommt dem Gesamt-Gefüge überhaupt nicht. Auch die Ensemble-Kräfte um André Szymanski herum mühen sich mehr um Kheimiris Personal, als dass sie es schärfen und fokussieren könnten.
So bleibt am Ende vor allem die Hoffnung auf weitere Versuche mit diesem an sich recht viel versprechenden Stück.