Foto: Antoine Jully choreografiert "Men and women". Nicol Omezzolli und Herick Moreira testen im Vordergund mal glücksverheißende Zweisamkeitsversuche. © Stephan Walzl
Text:Jens Fischer, am 13. März 2017
Dunkelkühl illuminiert ist die Bühne. Ruhig grummelnd schicken tief tönende Streicher erste Töne aus dem Orchestergraben – vernetzen sie zu melodischen Motiven. Während eine Tänzerin mit asiatischer Morgengymnastik durchstartet, das gezierte Repertoire um Ballettfiguren bereichert und spinnenartig exaltiert. Ein Tänzer schreitet auf Kothurnen vorüber, ein anderer bringt seinen Körper pumpend in martialische Posen und verstrickt sich in eine Art Kampfsport-Work-out. Ins Fitnessprogramm reihen sich die weiteren Ensemblemitglieder ein.
„Men and women“ ist die jüngste Choreographie des Oldenburger Ballettchefs Antoine Jully betitelt. Er deutet gleich in den ersten Minuten an, dass „and“ nicht ein zartglühend forschendes Aufeinanderzu, kein Idyll der Liebkosungen im Miteinander verheißt, sondern eine Warnung darstellt: Wenn diese beiden Ausformungen der Spezies Mensch sich begegnen, ist Krieg zu erwarten.
Und sogleich liefert das Oldenburgische Staatsorchester unter Carlos Vázquez die Bestätigung. Nach der so kurzen wie finsteren Einführung folgt in Allan Petterssons 6. Sinfonie ein halbstündig rabiater, unaufhaltsam tosender Exzess. Der so schrundig schroff und unvermittelt roh artikuliert wird, dass ein großer dramatischer Bogen, die Einheit in der Vielfalt kaum kenntlich wird. Nur ein ständiger Wechsel von atemlos in sich ruhenden Momenten, im Auge des musikalischen Hurrikans, und eben dem Wirbelsturm selbst.
Immer wieder brechen Klangkaskaden in extremen Tonlagen der Instrumente los, formieren sich zu ostinaten Figurationen und orchestralen Ausbrüchen. Formulierungsmöglichkeiten der Instrumentalgruppen werden extremistisch gegeneinander gesetzt, Intervallsprünge und Dissonanzen genutzt. Mal reißender Malstrom, mal tief zerklüftetes Kolossalgemälde. Rhythmische Verkantungen zerhackstücken das tonale Türmen, das Schmerz mit allem Leidenspathos auszustellen scheint: Dark-Metal-Sinfonik.
Der Reichtum der Komposition überfordert allerdings die Choreographie. Sie nimmt allzu selten die musikalischen Bewegungen auf, suhlt sich eher in der trostlosen Atmosphäre und Vereinzelung von Sounds. Nicht Liebe, Beziehungen, Sex und deren Grenzen werden ausgelotet, sondern ein Sammelsurium von diesbezüglichen Assoziationen ist zu erleben. Und die mitschwingende Frage, was einen Mann zum Mann macht, eine Frau zur Frau, kennt nur eine Antwort, die beider Einzigartigkeit ziemlich austauschbar erscheinen lässt: Sie sind alle eitel an sich herumstreichelnde Körper, manisch der Selbstoptimierung hingegeben.
Aber einige scheinen noch von Ahnungen beseelt, dass sie irgendetwas miteinander anfangen sollten. Da greift er also mal nach ihr, schleppt ab, während sie sogleich in Schwimmbewegungen verfällt: will zurück ins freie, unberührte Dasein. Im Dämmerlicht ist eine Umarmung zu sehen. Es hängt auch mal eine Frau an einem Mann, der greift sich einen andere, schon startet die Vorgängerin eine Rückholaktion. Es gibt hübsche Hebefiguren aller möglichen Paarbildungsarten – gefolgt von achtlosem Herabgleiten bzw. Fallenlassen. Neben den scheiternden Pas de deux und vergeblichen Trios sind vor allem taumelnde und irrende Soli zu sehen – mal flehend, barmend, zitternd, meist aber sich selbst ergötzend.
Jully arbeitet intensiv mit der Sprache tanzender Arme und bereichert für den Körperrest das klassische Vokabular um Modern-Dance-Akrobatik. Technisch überzeugt die junge Compagnie einschränkungslos. Aber es bleibt eine recht formale Darbietung. Mit Stummfilm-Mimik des Ausdruckstanzes illustriert das Ensemble sein Leid. Aber wie sich all das vielleicht anfühlt, was die da tanzen, ist eher aus dem Orchestergraben zu hören als auf der Bühne zu sehen. Obwohl überdeutlich ein pulsierendes Herz projiziert wird – genau auf das Gemälde einer örtlichen Goldschmiedin, das Mann und Frau skizzenhafter in ihrer Isolation zeigt.
Schließlich beruhigt sich die Partitur, es folgt ein 20-minütiges Ausschwingen der gewalttätigen Resignation. „Men and women“: Sie verharren in sich gekehrt. Die einen in kraftvoll mackernden Haltungen, die anderen auf Spitze trippelnd. Richtig starke Sehnsucht treibt nun keinen mehr aus dem Ich-Kokon. Ist das der Stand der Beziehungsdinge? Das Uraufführungspublikum jedenfalls bejubelte alle Beteiligten dieses tanzkünstlerischen Statements zum merkwürdigen Verhalten geschlechtsreifer Städter.