Foto: Szene mit Markus Seidensticker, Horst Damm, Manuela Süßer und Johannes Arpe © Harald Wenzel
Text:Ute Grundmann, am 27. Januar 2017
Der brennende Dornbusch flackert aus einem alten Radio. Die Prüfung Hiobs besteht aus Elektroschocks, der Delinquent ist wie gekreuzigt an ein Bettgestell gefesselt. So versucht Regisseur Alejandro Quintana, heutige Bilder für eine uralte Geschichte zu finden: „Die Bibel“. Der schwedische Autor Niklas Radström hat die Schöpfungsgeschichte und alles, was ihr folgt, in ein langes Drama verwandelt, das am Theater Rudolstadt zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum aufgeführt wurde.
Weil im Großen Haus die Flutschäden von 2013 beseitigt werden, spielt man die nächsten zwei Jahre im „Theater im Stadthaus“, einem schlichten Saal mit 300 Plätzen und offener Bühne. Hier geht zu Beginn ein Mann mit Textbuch und Headset umher, sagt manchmal „Er sagt, es soll nicht sein“, dann wieder „Er denkt, das ist gut“. Er dirigiert den Lichtwechsel von Tag zu Nacht, „danke, das war der erste Tag“. So geht das sieben Mal, bis die Schöpfung so getan ist, wie Gott sie dem Inspizienten in den Kopfhörer gesprochen hat. So locker und ironisch beginnt das Spiel um „Die Bibel“, das Intendant Steffen Mensching übersetzt hat. Die Schöpfung als Theater-im-Theater mit Gott als heimlichem Regisseur. Doch der spielerische Umgang mit dem Riesenstoff währt nicht lange, unerbittlich reihen sich die 41 Szenen aneinander, alle nötigen Stichworte werden abgehandelt, begleitet und teils kommentiert von drei Engel des Herrn in Schwarz mit großen silbernen Flügeln. Adam will Kinder, Eva lieber ein Zuhause; später werden beide (Johannes Geißer, Anne Kies) zum namenlosen Paar, dass sich durch alle Zeitläufte und Kriege sucht und findet. Kain mault, ob er etwa seinem Bruder hinterherrennen soll. Zur Sintflut („bitte Musik ab“) blickt der Zuschauer in die unsichtbare Arche,
wo Tänzer Tierköpfe wie Handschuhe tragen, paarweise natürlich.
Das ist eines der wenigen starken Bilder, die in Quintanas Inszenierung gelingen, die vor allem eins ist: lang. (In Stockholm und Göteborg sollen die Aufführungen jeweils sechst Stunden gedauert haben.) Dabei werden die Bibelgeschichten zu selten einmal zu wirklichen Spielszenen, sondern die Geschehnisse (ob die Opferung Isaacs oder der Auszug der Israeliten aus Ägypten) werden erzählt, einem Gegenüber oder direkt ins Publikum. Ein düster-eindringliches Solo gelingt Ute Schmidt als Lots Weib vom Untergang Sodom und Gomorrhas, der alte Abraham (Horst Damm) meutert ein bisschen gegen Gott, Matthias Winde ist ein wunderbar zorniger Moses, der als alter General einen Zweifler in eine Erdspalte schickt. Markus Seidensticker ist meist ein arroganter erster Engel des Herrn, manchmal auch Conferencier.
Und es gibt einen seltsamen zeitlichen Bruch in Radströms Stück und in der Inszenierung: Kurz vor der Pause schildert Maria Magdalena erschüttert und aufgelöst von Jesu Tod am Kreuz, danach geht es zurück an den Anfang der Jesus-Geschichte. In der wandelt sich Johannes Arpe vom zweiten Engel des Herrn zu Luzifer im schwarzen Glitzermantel, der Jesus in der Wüste in Versuchung führt, nachdem diesem bei der Bergpredigt die Zuhörer weggelaufen sind.
So mühen sich Drama und Inszenierung alles Wichtige abzuarbeiten, zeigen aber vor allem, wie gewalttätig die Bibel und die Welt waren und sind. Unzählige Schilderungen von Schlachten und Zerstörung sind anzuhören; ganz selten fragt jemand wie Eva, ob Gott das mit seiner Welt so gewollt hat. Gefangene mit Säcken über dem Kopf erinnern an Abu Greib, noch ein Versuch, im Heute anzukommen. Es wird auch ein bisschen philosophiert über Gott und Gerechtigkeit in der Welt, aber das mündet meist in Merksätzen, sind zu wenige Ansätze der Reflexion über das Gehörte und Gesehene. Respekt vor der Leistung des Ensembles, das 74 Figuren auf die Bühne bringt. Doch nach fast vier Stunden endet die Inszenierung eher hilflos in einem skandierten „Habt-keine-Angst“-Appell.