Foto: Szene aus "On the edge" © Carola Hölting
Text:Ute Grundmann, am 28. Mai 2018
”On the edge“ als große Performance mit Tanz, Musik und Sprache in Eisenach am Landestheater
Anbaggern, anmachen, anfassen. Hände auf Schultern, Hände an Körpern, Schritte, Tritte, Ringen, Schreien, von Frauen wie von Männern. So fulminant beginnt im Landestheater Eisenach die Performance „On the edge“, die erste Kooperation zwischen dem Nationaltheater Weimar und dem Landestheater Eisenach. Ein Abend aus Tanz, Musik und Sprache, mit dem Andris Plucis und Hasko Weber viel mehr bieten als ein Diskursangebot zur #MeToo-Debatte. Und es ist eine wunderbare Einheit aus tanzenden Schauspielern und spielenden Tänzern.
Wie können, sollen Frauen und Männer miteinander umgehen, ohne dass Flirten unter Generalverdacht gerät (wie Cathérine Deneuve fürchtet), aber Machtmissbrauch ausgeschlossen ist (gerade wurde Harvey Weinstein endlich verhaftet und angeklagt)? Das ist das Thema für Plucis, Chefchoreograf und seit kurzem auch künstlerischer Leiter in Eisenach und Hasko Weber, Generalintendant und Regisseur in Weimar. Plucis und er hätten sich vor zwei Jahren getroffen, erzählt Hasko Weber, „aus gegenseitigem Interesse für die Arbeit an unseren Theatern. Schnell wurde ein Plan, dann ein Projekt daraus, tänzerische und spielerische Ansätze zu verknüpfen“.
Und so stehen nun fünf Tänzer aus Eisenach (Andrea de Marzo, Laura Sophie Heise, Karin Honda, Shuten Inada, Gaia Zanirato) und fünf Schauspieler aus Weimar (Nahuel Häfliger, Marcus Horn, Simone Müller, Jonas Schlagowsky, Anna Windmüller) gemeinsam auf der Eisenacher Bühne, später auch in Weimar und Meiningen. Weber und Plucis geben keine „Wir hier, ihr da“-Konfrontation, keine gut-böse-Frontlinie aus. Da beschwert sich ein Mann, dass Frauen für ihre Rechte immer noch demonstrieren müssen (siehe Irland), vor dem wehleidigen Geschwätz einer Frau flüchten erst die Männer, dann die Frauen. Und wenn die Tänzerin kopfüber auf den Schultern zweier Männer liegt, zupft ein Mann ihr züchtig das Shirt zurecht. Aber es gibt auch die gemischte-dynamische Tanzreihe, kurze, dynamische Bewegungen zu einem Mann, der seine Sehnsucht auskotzt. Zu sehen sind auch Aggressivität, angedeutete und ausgeführte Schläge, lautlose Drohungen. Dazu freche und böse Texte von Sibylle Berg, Elfriede Jelinek und Xavier Durringer, über das Dauerthema „Du hörst nicht zu“ bis zu leeren Frauenleben und Männern, die Männerzeug studieren. Die Akteure tragen Hosen und Shirts als Unisex-Look, nur manchmal kommen ein Glitzeranzug oder rote Flatterröcke für alle dazu (Kostüme und Bühne Sarah Antonia Rung).
Für Hasko Weber war die Produktion eine „neue Erfahrung, sowohl im Denken als auch in den täglichen Proben“. Für die Zuschauer gibt es die Überraschung, dass, wenn alle zehn tanzen, Mimen und Tänzer nicht zu unterscheiden sind. Und der knapp zweistündige Abend ist meilenweit von „Männer-in-Frauenkleidern“-Blödheit entfernt (einziger Ausrutscher: eine überflüssige Dirndl-Mitklatsch-Zugabe). „On the edge“ stellt viele Fragen, vieles infrage, gibt aber nicht vor, alle Antworten zu haben. Der Musikmix dazu ist wild, von Einstürzende Neubauten, Johnny Cash, Michael Nyman bis FM Einheit. Es gibt auch romantische Klänge, danach erzählt eine alte Palästinenserin, wie sie sich ihrer tumben, lauten Männer (Gatte und Sohn) per Insulin in der Suppe entledigt hat. Nicht nur hier wird die Performance richtig böse; mit dem gestelzten Männer-Frauen-Umgang des klassischen Balletts nehmen Plucis und Weber zudem ihr eigenes Metier auf die Schippe.
Am Ende liegen alle, Tänzer und Mimen, flach auf dem Boden, eine einzelne Hand wischt den Abend weg – nicht aber die vielen Gedanken, die er in die Köpfe der Zuschauer gepflanzt hat. Eine sehr erfolgreiche, erste Kooperation. Die Fortsetzung wünscht sich Weber sehr – und wir uns auch!