Foto: Szene aus "Eines langen Tages Reise in die Nacht" am Schauspiel Köln © Krafft/Angerer
Text:Bettina Weber, am 16. November 2019
Der Zerfall einer bürgerlichen Familie als Parabel für den Untergang des amerikanisches Traums: In Eugene O’Neilles 1956 posthum veröffentlichten und Pulitzerpreis-gekrönten Drama offenbart sich an einem einzigen Tag die komplette Marodität aller Mitglieder der Familie Tyrone: der Vater James ein seiner Karriere als Schauspieler hinterhertrauernder Grundstücksspekulant und Geizkragen, die Mutter Mary morphiumsüchtig und suizidgefährdet, der ältere Sohn Jamie als Schauspieler gescheitert, der jüngere Edmund schwer krank, allesamt dem Alkohol zugewandt. Durch den dauerhaften Nebel des Rausches verirrt, versumpfen alle Familienmitglieder zunehmend in Vorwürfen, Schuldgefühlen und Phantastereien über eine vermeintlich glückliche Vergangenheit. Der Regisseur Luk Perceval hat sich am Schauspiel Köln weniger dem Gesellschaftsstück als vielmehr der psychologischen Studie gewidmet. Dass Amerika seit einigen Jahren unter einer nie gekannten Drogenepidemie leidet, macht das Stück zwar aktuell, trotzdem hat Perceval es nur behutsam modernisiert und vielmehr versucht, den Kern des Werks freizulegen.
In „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ sind alle Figuren bloß noch Gespenster, und genau so hat Perceval sie inszeniert: Als verblasste Gestalten, die das Sommerhaus, in welchem die Handlung spielt, vielmehr bespuken als dass sie es bewohnen. Bühnenbildner Philip Bußmann hat hierfür fünf kahle, nebeneinander liegende Räume im Depot 1 geschaffen, in denen sich die Schauspieler über weite Stecke parallel aufhalten und sprichwörtlich aneinander vorbeireden. So ist einsam, wer nicht allein ist – eine starkes Symbol, das die Problematik der familieninternen Kommunikation eindrücklich versinnbildlicht, allerdings über die Länge der gesamten Inszenierung hinweg (gute drei Stunden) auch eine gewisse Statik birgt, zumal sich die Schauspieler zwischen diesen gefängnisartigen (und nicht direkt miteinander verbundenen) Räumen nicht sehr häufig bewegen. Immerhin: Dort, wo die eigentlichen Konflikte entstehen, agieren die Spieler zunehmend miteinander. Und so, wie sich im Text Vorwürfe und Entschuldigungen, Zuneigung und Abscheu, verdrängende Erinnerungen und zutiefst deprimierte Gegenwartsanalysen abwechseln, so changieren auch die Darsteller zwischen extrem lauten und sehr leisen Tönen. Astrid Meyerfeld als Mutter gelingt dieser oft explosionsartige Wechsel zwischen Nostalgie, Abgründigkeit und allen dazugehörigen Zwischentönen besonders gut. Es ist, als vereine ihre Mary so viele Facetten, wie sie elegante Kleider trägt (Kostüme: Katharina Beth).
Perceval zeigt die dunkle Macht des Dionysischen, doch eigentlich ist das Scheitern dieser Figuren eher schicksalhaft – die Drogen sind nur Mittel zum Zweck. Und so wird kein Glas Alkohol, keine Flasche, kein Medikament in dieser Inszenierung je gezeigt, sondern lediglich erzählt – durch die Schauspielerin Maria Shulga, die sowohl als Sprecherin, als Hausmädchen Cathleen und am Klavier zu sehen ist, wo sie für die bedrückende Gesamtatmosphäre einen fast stillen Klangteppich bereitet. Im zweiten Teil beginnt vor allem Mary sich mehr und zunehmend nervöser im Bühnenbild zu bewegen, oft hört man sie nur hinter den Räumen mit sich selbst sprechen: Sie ist rückfällig geworden, wieder einmal, hängt „an der Nadel“, wie es ihr Sohn Edmund nennt. Nikolay Sidorenko zeigt ihn als sensiblen, empfindsamen jungen Mann, sein Bruder Jamie Tyrone junior ist bei Seán McDonagh ein sarkastischer Verzweifelter. Was beide Figuren eint, ist die Hassliebe zueinander wie auch die gegenüber Mutter und Vater. Vater James hat bei André Jung die Ausstrahlung eines ermüdeten Familienoberhauptes, das nur dank massivster Verdrängung seinen Alltag zu meistern in der Lage ist, jedoch immer wieder durch cholerische Anfälle aus seiner Lethargie herausbricht.
Es ist die bemerkenswerte schauspielerische Leistung des Ensembles, die das inszenatorische Konzept über die Dauer des Abends trägt und es ermöglicht, Sympathie und Irritation gleichermaßen zu erzeugen. Alle bleiben von Beginn an Gefangene ihrer Bestimmung und verharren oftmals auch körperlich in der Bewegungslosigkeit. Auf diese Weise erzeugt die Inszenierung ein zähes Klima der Beklemmung, lässt allerdings eine eklatante Spannungssteigerung vermissen. Diese Familie ist ein Haufen zum Scheitern Verurteilter – fast ist man zuletzt erleichtert, dass die Geschichte endet.