Thumbnail

Geschlossenes System

Benjamin Britten: Owen Wingrave

Theater:Theater Osnabrück, Premiere:16.01.2016Autor(in) der Vorlage:Henry JamesRegie:Floris VisserMusikalische Leitung:Daniel Inbal

„Owen Wingrave“ ist ursprünglich eine reine Fernsehoper, uraufgeführt 1971, zeitgleich in BBC und ZDF – an einem Samstagabend zur Prime Time! Großaufnahmen, Kamerafahrten und schnelle Schnitte scheinen der Partitur eingeschrieben und machen die theatrale Umsetzung nicht eben einfach. Die Titelfigur ist der letzte männliche Nachkomme einer Dynastie von Offizieren. Auf der Militärakademie wird ihm klar, dass er den vorgezeichneten Weg nicht gehen will, da er Kriege für sinnlos und nicht gewinnbar hält, vor allem aber wohl, um der ihn existenziell einengenden Fremdbestimmung zu entkommen. Die elternlose, traditionsbesessene Familie entlobt und enterbt ihn. Eine pazifistisch aufgeladene, eigentlich immer aktuelle Fantasie über einen jungen Menschen, der versucht die Mauern eines eigentlich geschlossenen Systems hinter sich zu lassen und dabei fast zwingend scheitert. Britten hat dafür sehr wirkungsmächtige, fast betörend spröde Musik komponiert. Daniel Inbal formuliert mit dem Osnabrücker Symphonieorchester ihren introvertierten, aber keineswegs leisen Charakter sehr präzise aus, belebt die schlanken, widerborstigen Farben dieser Partitur, gibt nur manchmal dem wohl in der Musik steckenden Sehnsucht nach Aufschrei ein wenig zu sehr nach.

Gary McCann hat einen klaustrophobischen, angenehm puristischen Raum entworfen. Drei graue Wände sind behängt mit leeren, die unbelebte Tradition widerspiegelnden Bilderrahmen. Darüber schwebt eine monströse Stuck-Rosette, fast ein Damokles-Mühlstein. Hier kann man nicht leben. Aber gut Theater spielen. Sehr plastisch modelliert Floris Visser Strukturen heraus, zeigt, wie rhetorisch, geradezu diskurshaft „Owen Wingrave“ gebaut ist und bekommt auch die Überformung durch eine Gruselgeschichte, die im zweiten Teil sehr plötzlich auftritt, hervorragend in den Griff. Immer wieder öffnen sich Teile der Rückwand und geben den Blick frei auf ein rot drohendes Offiziersporträt, Chiffre für den Raum, in dem einst ein Wingrave-Vater seinen Sohn erschlug, weil der einer Rauferei ausgewichen war. Im selben Zimmer wurde jener Vater später tot aufgefunden, mit unbekannter Todesursache, wie Owen selbst am Ende des Stückes. Nachdem er sich in einem großen Monolog von seiner Familie befreit hat, bringt ihn die Liebe zu seiner Ex-Verlobten Kate dazu, sich im ‘Spukzimmer‘ einschließen zu lassen.

Immer wieder öffnen sich Türen in den grauen Wänden. In an die spätviktorianische Epoche angelehnten Kostümen durchmessen die Sänger den Raum flüssig ihn in exakten Bewegungsarrangements, die der Aufführung einen Zug ins Dekorative, Unverbindliche, zu Beginn gar ins Betuliche geben, statt das Stück ins Heute weiterzudenken, oder ihm einen Parabelcharakter zuzuerkennen. Visser beschränkt sich bewusst aufs Erzählen und Vermitteln.

Das Ereignis des Abends ist das achtköpfige Sängerensemble. Wo wenig Requisiten, wenig spektakuläre Bühnenaktionen sind, ist alles Zusammenspiel und –klang, was hier auf extrem hohem Niveau geleistet wird. Brittens kleinteilig gebaute Ensemblekunst war selten so sinnlich und differenziert zu hören wie hier. Jeder ein Einzelkönner: Daniel Wagner als Militärschüler mit hinreißend geschmeidigem Tenor, Rhys Jenkins als Lehrer mit selten üppigem Bariton, Elizabeth Magnor als seine Frau mit grandios plastischer Diktion. Dazu die böse Familie: Francis van Broekhuizens urgewaltige Tante, Mark Hammans gefährlich schlanker Großvater, Alexandra Schoenys abstoßend larmoyante Kameradenwitwe.  Dazu Almerija Delic als Verlobte Kate mit staunenswert großformatigem und warmem, sehr differenziert eingesetztem Mezzosopran. Schließlich Jan Friedrich Eggers: ein absolut glaubhafter Darsteller des schwierigen, aber sympathischen Titelhelden, großartig besonders in der hochexpressiven Deklamation.