Foto: "Penthesilea" bei den Salzburger Festspielen. Sandra Hüller (Penthesilea), Jens Harzer (Achilles) © © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus
Text:Anne Fritsch, am 30. Juli 2018
Sie umkreisen sich, rufen sich, suchen sich? Sandra Hüller und Jens Harzer laufen über die Bühne des Salzburger Landestheaters. Sie spielen Penthesilea und Achilles in Johan Simons reduzierter Fassung des Kleist-Dramas für die Salzburger Festspiele. Der Raum von Johannes Schütz: ein vollkommen leerer schwarzer Kasten, beleuchtet von einem kalten weißen Streifen Licht. Hüller und Harzer tragen lange schwarze Röcke. Später wird Harzer seinen ausziehen, sich nackt vor Penthesilea stellen, sich ihr verletzlich präsentieren. Ein Trick, um sie glauben zu lassen, sie habe gesiegt. Um tatsächlich dann sie zu unterwerfen.
Johan Simons und sein Dramaturg Vasco Boenisch haben das Kleistsche Drama auf eine Zwei-Personen-Fassung reduziert: keine Kriegswirren, kein Griechen- und kein Amazonenheer, die sich feindlich gegenüberstehen, keine Vertrauten. Nur diese beiden, Mann und Frau, Penthesilea und Achilles.
Sie, Sandra Hüller, erzählt das Setting und nimmt selbst die Rolle der Beobachtenden ein. Was bei Kleist von anderen berichtet wird, übernimmt hier sie selbst. Mal werden die Texte der anderen Figuren in direkte „ich“-Erzählungen überführt, mal spricht sie über sich selbst in der dritten Person, wie aus der Entfernung. Von Gefühlen Getriebene und Analysierende zugleich – hier führt die Reduktion zu einer merkwürdigen Distanz zwischen Schauspielerin und Rolle. Dann wieder machen sich beide über sich selbst lustig, werfen verschwörerische Blicke ins Publikum, als wäre die Leidenschaft nur eine Pose. Kleists Drama ist auch eines des Verstehen-Wollens, er kontrastiert den Innen- und den Außenblick und baut daraus Spannung auf. Hier aber vermischen sich beide Sichtweisen zu einem unentschiedenen Ganzen.
Jens Harzers Achilles, er ist dieser Penthesilea lange Zeit nicht gewachsen. Wenn er mit einem „Ah!“ an seinen Achseln riecht, ist das irgendwie eine Pose der Männlichkeit auf verlorenem Posten. Nichts an ihm ist mehr Krieger, wenig stolz – er ist längst ein Unterworfener. Ein Mann des 21. Jahrhunderts?
Lange erschließt sich nicht, was hier eigentlich das Problem ist: Da stehen zwei, die sich irgendwie begehren. Weit und breit kein Schlachtgetümmel, in das sich Penthesilea stürzen müsste, um ihn zu erobern: Vor ihr steht ein Schwächling in Unterhose, kein stolzer Krieger. Das große Drama des Geschlechterkampfes, hier wird es runter gebrochen auf ein Kammerspiel. „Penthesilea“ aber ist ein Trauerspiel der Kontexte, ein Clash of Cultures, ein Zusammenstoß der Traditionen und Bräuche.
Nach einer Stunde erst, als Achilles sich der bewusstlosen Penthesilea nähert, seine Liebe ausspricht – erst da scheint, was die beiden sprechen, authentisch. Erst da ist Nähe, Interesse, Spannung zwischen den Figuren. Sie beißt ihn neckisch in seine Achilles-Ferse, sie rangeln, lachen. Auf einmal, und für einen Moment, ist alles leicht. Bis er dann doch will, dass sie ihm folgt, nicht umgekehrt.
Jetzt, im Dialog, funktioniert die kleine Form. Jetzt sind ihre Konflikte, die Konflikte zwischen Mann und Frau durchaus jenseits des tatsächlichen Schlachtfeldes relevant: Wie treu muss ich meinen Überzeugungen auch in der Liebe bleiben? Wie weit kann ich gehen, ohne mich zu weit von mir selbst zu entfernen? Auch: Wie viele Tricks sind erlaubt in der Liebe?
Bei Kleist tötet Penthesilea Achilles schließlich im Kampf um ihre Würde als Amazone, dann, ihre Tat erkennend, sich selbst. Hier steht am Ende eine Variation der Anfangsbegegnung: Penthesilea sagt sich von ihren Gesetzen los, folgt Achilles. Soll das die Lösung sein? Ernsthaft?