Foto: Ensembleszene in der Nietzsche-Gedächtnishalle © Candy Welz
Text:Ute Grundmann, am 24. August 2018
Faszinierende Ortsbegehung kreuz und quer durch ein im Laufe des letzten Jahrhunderts für unterschiedlichste, dabei immer geschichtsträchtige Belange genutztes Gebäude.
Festes Schuhwerk wurde empfohlen, trotz Hochsommer. Denn es ging treppauf und treppab, durch lange, düstere Flure. Wieder mal einen besonderen Ort fand man beim Kunstfest Weimar für eine sehr besondere Produktion: „Funkhaus Weimar – Mit Nietzsche auf Sendung“. Es sollte also, natürlich, um Friedrich Nietzsche gehen, aber auch um das 100-Jahr-Jubiläum des in Weimar gegründeten Bauhauses. Gespielt wurde die Collage aus Musik, Sprache, Geräuschen und Eindrücken im ehemaligen Funkhaus, einem Gebäude mit widersprüchlicher Geschichte.
Zum Auftakt ging es in einen prunkvollen Saal mit Bogenfenster und Kassettendecke, dort erwarteten die genau 56 Zuschauer zwei enthusiastische „Fremdenführerinnen“ und vier Bläser der Staatskapelle Weimar. Über den „Neuen Menschen“, der auch Ziel der neuen, rationalen Kunstauffassung des Bauhauses war, wurde philosophiert, auch das Stichwort „alternative Fakten“ fiel. Dazu sanfte, vorsichtige Klänge von Posaune, Trompete, Alt- und Tenorsaxophon. Danach mussten sich die „Lieben Auserwählten“ in vier Gruppen à 14 Zuschauer aufteilen, um „ihrem“ Instrument durch das Funkhaus zu folgen.
Von Harry Graf Kessler als Huldigungsstätte für Nietzsche konzipiert, herrschten hier ab 1937 die Nationalsozialisten, gefolgt vom sowjetischen Geheimdienst. Von 1946 bis 2000 sendete von hier dann der Rundfunk der DDR. Später drehte der MDR hier noch einen „Tatort“, ein Zettel mit Veranstaltungstipps für das Jahr 2000 hängt immer noch neben dem Direktionszimmer. Der ist eine weitere Station der „Nietzsche-Sendung“, bei der Matthias Rebstock für Konzept, Text und Regie verantwortlich ist. In den Ecken des großen, quadratischen Raums stehen die vier Musiker, für die „Redaktionssitzung“ zum Bauhaus stehen alte Kassettenrekorder auf dem Tisch bereit, die die Zuschauer zu bedienen haben. Eine Frau spricht von Walter Gropius‘ erster Ausstellung, man hört Graf Kesslers Applaus dazu, der Bauhausstreit wird vom Blatt verlesen. Im ehemaligen Sendestudio mit seinen kaputten Dämmplatten gibt es Kopfhörer, um die Darsteller hinter der Glasscheibe über „Wohlbefinden als Ende, Zucht des Leidens“ zu hören, dazu Harry Graf Kesslers Worte an der Bahre Nietzsches. Aber auch das Wort „Lügenpresse“ fällt. Im einstigen Synchronstudio hängen und liegen abgenudelte Tonbandstreifen („Vorsicht, dass Sie nicht fallen“.)Beim Versuch, mit dem Gerät „PSB7“ die Stimmen Verstorbener einzufangen, gibt es Spiritistisches zu sehen und zu hören.
Weiter geht die faszinierende Reise zur einstigen Poststelle, einem kleinen, engen Raum mit Wandschränken. In einem hockt ein Mann in kurzem, weißen Jumpsuit, der von „Sendungsbewußtsein“ und „Senderauftrag“ spricht. Dann macht er im Flur Handstand, klettert eine Überputzleitung hoch, rennt und tanzt umher. Vom Nebenzimmer aus macht er mit Kaffeekanne und Eierbecher Wortmusik, schlägt mit zwei Pinsel Rhythmen auf Wände und Fenster. Wenig später tritt man aus dem Funkhaus wieder in die Weimarer Wirklichkeit hinaus, noch immer gefangen und beeindruckt von dieser Mischung aus Philosophie und Propaganda, Slogans und Musik und der Atmosphäre dieses schönen, maroden Gebäudes.