Die blondgelockten Rheintöchter mit dem animalischen Alberich

Geraubte Unschuld und Frauen-Klischees

Richard Wagner: Das Rheingold

Theater:Theater Chemnitz, Premiere:03.02.2018Regie:Verena StoiberMusikalische Leitung:Guillermo García Calvo

Verena Stoiber inszeniert den Auftakt zum neuen „Ring des Nibelungen“ an der Oper Chemnitz

Der Vorhang öffnet sich – und zum samtweich sich aufbauenden Es-Dur Dreiklang des Naturmotivs erblicken wir eine Art Urzustand am Grunde des Rheins: Ein üppiges Algen- oder Blätterdach hängt herab, die nackten, blondgelockten Rheintöchter schwingen an Lianen quer über die Bühnenbreite – und Zwerg Alberich tappst in seinem affenartigen Ganzkörperfell hilflos gierend und mit übergroßem Penis dazwischen herum. Wenn er den drei Mädchen am Ende der Szene die güldenen Locken blutig vom Kopf schneidet, sie beschämt und schmerzverzerrt zurücklässt, nimmt das Übel der ganzen Tetralogie seinen Anfang: im Raub des Rheingolds, hier als dem Raub von Weiblichkeit und Unschuld.

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Regisseurin Verena Stoiber und ihre Ausstatterin Sophia Schneider haben ein treffliches Bild gefunden für die erste Szene im „Rheingold“ – und damit den gelungenen Startschuss gegeben für den neuen Chemnitzer „Ring des Nibelungen“ Richard Wagners. Vier verschiedene Regisseurinnen sollen die Tetralogie abklopfen auf eine spezifisch weibliche Perspektive, die Rolle der Frau zwischen all den macht-, sex- und geldgeilen Helden und Göttern in Wagners Opus Magnum – so der Plan. Im Vorabend, soviel sei vorweggenommen, gelingt das schon recht gut, auch wenn die ehemalige Regieassistentin von Calixto Bieito stellenweise etwas dick aufträgt.

Die Götterfamilie entstammt der Konsum huldigenden Oberschicht: Wotan (Krisztián Cser), jugendlich attraktiv im blauen Anzug und mit Smartphone, ist ganz bei sich selbst als Geschäftsmann, Fricka (Monika Bohinec) in Kostüm und blond-toupiertem Haar die durchaus dominante Frau an seiner Seite, Naivchen Freia (Maraike Schröter) kommt tütenbepackt vom Shopping, Donner (Matthias Winter) und Froh (Petter Wulfsberg Moen) waren Golfen und die Riesen Fasolt (Magnus Piontek) und Fafner (James Moellenhoff) schieben ihre Akten in einer Schubkarre vor sich her, sind eher sympathisch tölpelhaft denn furchteinflößend. All das ist unterhaltsam inszeniert, jeder­ kämpft hier mit den eigenen Schwächen und Eifersüchteleien; Verena Stoiber hat die Figuren klar charakterisiert und allerlei Anekdoten eingeflochten. Auf den je zwei Theatersesseln links und rechts am Bühnenrand nehmen Loge (Benjamin Bruns) oder Wotan und Fricka immer mal wieder Platz, beobachten, kommentieren das Treiben vor der dicken, grauen Mauer von Walhall.

Die Goldmine von Nibelheim, Schauplatz der dritten Szene, fährt als zweistöckiger Metallgerüstquader aus dem Bühnenboden empor: oben ein Bordell mit lasziv sich rekelnden Unterwäschemädchen („Sexflat nur 9,99“), unten hocken dutzende Kinder über Schuhkartons ins Schnürsenkelfädeln vertieft – Ausbeutung also an allen Fronten. Alberich (Jukka Rasilainen), in Goldhemd jetzt ganz männlich und menschlich geworden, hat mit diesem Moralkeulen-Bild hinter sich eigentlich wenig zu schaffen, tötet nur mal leichthändig eine seiner Nutten per Halsschnitt, ehe Mime (Edward Randall) sie – endlich befreit – im Szenenfinale alle kurz durchnimmt. Da waren sie wieder, die triebgeilen, ihre Macht missbrauchenden Männer.

Alberichs Tarnhelm münzt Stoiber zum Spiegel um, den er Wotan und Loge vorhält: Blicke hinein und erkenne, wen und was du willst. Prompt erfreuen sich der Göttervater und sein Gehilfe selbstverliebt am eigenen Spiegelbild… Das geht nicht ganz auf, ist aber zumindest bedenkenswert.

Man ahnt schon, wie plakativ alles enden muss: Um Freia von Fasolt und Fafner zurückzukaufen, türmt die Götterfamilie das erbeutete Rheingold als Konsumgut vor ihr auf: dutzende Kartons mit diversen Küchengeräten, Waschmaschinen, Flat Screens TVs. Erda (mit saalerfüllendem, hochdramatischen Mezzo: Bernadett Fodor) wird für ihren prophetischen Kurzvortrag an Wotan beiläufig vom Theatersessel geholt. Der kommt zwar ins Grübeln und lässt ab vom Ring, bleibt letztlich aber in den Armen seiner treuen Fricka recht munter zurück. Alles nicht so tragisch, solange die zwei nur zusammenhalten.

Wirklich herausragend ist mit wenigen Abstrichen die Ensembleleistung des Abends, getragen durch das äußerst sängerzugewandte Dirigat des neuen Generalmusikdirektors Guillermo García Calvo. Der Spanier führt die in langer Wagner-Tradition stehende Robert-Schumann-Philharmonie mit formidabler Dynamik, niemals zu laut, doch auch aufbrausend und furchteinflößend wie in der Verwandlungsmusik im Übergang zur dritten Szene. Die Ensembles geraten formidabel, besonders die Rheintöchter Woglinde (mit brillant klarem Sopran: Guibee Yang aus dem Chemnitzer Ensemble), Wellgunde (Sylvia Rena Ziegler) und Floßhilde (Sophia Maeno). Alberich klingt anfangs noch animalisch und rau, singt sich jedoch zunehmend frei; dem Loge von Benjamin Bruns hört man den wohl artikulierenden Oratorien- und Liedsänger an, als der er regelmäßig auftritt, leider beglaubigt er fast jede Phrase mit pathetischen Gesten – Loge ist halt sehr engagiert, mitleidig mit allen, und ein bisschen fahrig mit seinem Putzfimmel. Auch Fricka und der Rest des Ensembles überzeugen – allen voran der Wotan des aus Budapest stammenden Krisztián Cser. Absolut preisverdächtig ist seine Sängerdarstellung in allen Facetten: Mit lupenreiner Intonation, tollem Textverständnis und gesunder Klangfarbe durch alle Register gibt er einen Wotan, der kein gebrochener alter Mann ist, sondern eher der junge Idealist, sich der Tragweite seiner Verfehlungen längst nicht bewusst ist und seine Fricka ebenso aufrichtig liebt wie alles, was ihm jung und schön in die Finger kommt. So sind sie halt, die Männer.

Der „Frauen-Ring“ beginnt also mit allerlei Geschlechter-Klischees: Das Weibliche wird bei Verena Stoiber nicht durchweg missbraucht und unterjocht, ist auch konsumgeil dümmlich wie Freia, tritt als moralisch überlegene Instanz auf wie Fricka – wird aber im Schlussbild der blutend ausgeraubten Rheintöchter nochmal deutlich als unterlegenes Geschlecht vorgeführt. Womöglich geht die „Walküre“ der niederländischen Regisseurin Monique Wagemakers in eine komplett andere Richtung – wir werden es Ende März erfahren.