Foto: "Il Prigioniero" an der Oper Köln. Schlussbild mit Bo Skovhus (am Kreuz), Raymond Very (Mitte) und dem Kölner Opernchor © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 28. März 2015
Es ist zweifellos eine Tat, diese beiden grundverschiedenen katholischen Komponisten und ihre genauso grundverschiedene, sich in kein Raster fügende Musik für die Bühne zusammen zu denken. Zumal wenn man diese so erfüllen kann, wie es die Kölner Oper in dieser Premiere tut. Wie resonant und trennscharf etwa der phasenweise geteilte Chor singt. Wie präzise das Gürzenich-Orchester dem Gastdirigenten Gabriel Feltz folgt, der Dallapiccolas gezackte, spirituell aufgeladene, nicht selten opulent instrumentierte Zwölftonskalen genauso plastisch ausformuliert wie Zimmermanns soghafte, erbarmungslose Reduktion. Im Zentrum steht Bo Skovhus, mit großer Identifikation und ungeheuer modulationsfähigem Bariton erst der Gefangene – hier ist ihm Raymond Very als Kerkermeister ein angemessen starker Widerpart – und später auch die zentrale Figur in der „Ekklesiastischen Aktion“. Da sind zwei Sprecher seine Kerkermeister, arbeitet sich Stephan Rehm fast unheimlich suggestiv an Dostojewskis Großinquisitor-Kapitel aus „die Brüder Karamasov“ ab, verwischt Jörg Ratjen als Fleisch gewordener Chaosfaktor, als überkandidelter Rhetorikclown die klare Struktur.
Robert Schweers Bühne ist zu Beginn eine Betonwand. Auf halber Höhe ist ein rechteckiges Loch eingefräst, in dem der Gefangene vegetiert. Der Prolog läuft statisch ab. Der Regisseur Markus Bothe setzt ganz auf die Ausstrahlung der Sängerin Dalia Schaechter, die sich als Mutter im blauen Mariengewand nicht vom Fleck rührt. Bewegung kommt erst mit dem Auftritt des Kerkermeisters in die Szene. Er teilt die Wand in der Mitte. Es entsteht eine Kreuzstruktur. Durch den so entstandenen Raum irrt der Gefangene, wird verfolgt, passiert, aber nicht wahrgenommen, nie wahrgenommen. Hier zeigt die Inszenierung stark den Abgrund des Alleinseins und schlägt so eine Brücke zu Zimmermann. Der „Prigioniero“ endet mit einem ungeheuer plakativen Bild: Der Gefangene hängt am Kreuz, aus dem Kerkermeister wird der Großinquisitor. Die Choristen ziehen ihre Mönchskutten aus und stehen in roten und weißen Priesterornaten da wie auf einer Karnevals-Motto-Party. Ein sogenannter Coup de Theatre, dramaturgisch ein Trenner. Im engeren Sinne hört das Theater hier auf und die „Ekklesiastische Aktion“ beginnt. Die Betonwände fahren zur Seite, das Kreuz herab und der Sänger Bo Skovhus steht hilflos da, den Worten – teilweise auch den Faxen – der Sprecher hilflos ausgeliefert. „Wehe dem, der allein ist!“, singt er, zerlegt er, immer wieder. Dann geht er nach hinten, ins wortlose weiße Rauschen und verschwindet darin. Ein stimmig pessimistisches Ende.
Der sehr beeindruckende Doppelabend wirft dennoch Fragen auf. Die wichtigste betrifft die ethisch-politische Haltung der Stücke. Dallapiccolas Musik ist ein Appell eingeschrieben, seine Oper will nicht nur Leiden zeigen und kathartisch bewegen, sie fordert zum Handeln auf, fordert vor allem Verantwortung ein, birst also geradezu wild dialektisch vor jener Hoffnung, die im Stück als ‚letzte Folter‘ bezeichnet wird. Zimmermann dagegen hat eine Selbstauslöschung komponiert, negiert alle Hoffnung. Beides sind bestürzend klare Aussagen. In der Kölner Inszenierung sind Wände und Boden mit Buchstaben bedeckt, werden weitere ständig projiziert. Aber sie verbinden sich nur in Ausnahmefällen zu Worten. Markus Bothe und sein Team scheinen diesen zu misstrauen, nicht an die Vermittelbarkeit, die Formulierbarkeit derart harter, klarer Haltungen zu glauben in der heutigen Zeit – oder grundsätzlich. Sie beschränken sich auf die Gestaltung der dramaturgischen und musikalischen Strukturen. Und sie füllen den Raum damit. Und sie packen.
„Es ist genug“, ein Choral aus einer Bach-Kantate erklingt zu Beginn und dann immer wieder, als eine Art musikalischer Klammer. Vielleicht ist es das doch nicht. Zumindest nicht ganz.