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Generationskonflikt mit einem Untoten

Peer Boysen: Willem Vanderdecken oder Das Märchen vom fliegenden Holländer

Theater:Schauburg – Theater am Elisabethplatz, Premiere:15.06.2017 (UA)Vorlage:Heinrich HeineRegie:Peer Boysen

Nach 27 Jahren Intendanz von George Podt an der Schauburg München beschließt Peer Boysen mit seinem Projekt „Willem Vanderdecken oder das Märchen vom fliegenden Holländer“ die Ära.

Das war sie nun, nach 27 Jahren Intendanz von George Podt, die allerletzte Premiere an der Schauburg, dem Jugendtheater am Elisabethplatz in München. Keinem anderen als Peer Boysen, der von der ersten Spielzeit an dabei war, konnte diese Aufgabe zufallen, der mit seinem Projekt „Willem Vanderdecken oder das Märchen vom fliegenden Holländer“ sein „Abschiedsgeschenk“ (Presseinformation) lieferte. Ein großes Thema also, eine Erlösungsgeschichte von einem Untoten, der von einem Fluch rastlos über die Meere getrieben wird. Bei Boysen, der aus den Geschichten von Heinrich Heine bis Richard Wagner (und noch ein paar Autoren) eine eigene Fassung baut, bekommt das Schiffermärchen die Form einer Gerichtsverhandlung – und wird zu einer Familiensaga, die das Verhältnis der Generationen zu hinterfragen versucht. Boysen bindet diese Untersuchung, die sich zunächst oberflächlich an der Frage nach dem Tod von zwölf Mädchen entlang hangelt, nicht nur in die Theatermetaphorik ein, sondern arbeitet sich auch an den Schlagworten der 27-jährigen Intendanz ab: „Kompliziertheit gegen Vereinfachung“ oder „Fragen statt Antworten“.

Das setzt er ganz wörtlich um, da verlässt er sich darauf, dass das Theater seine Handlungen einfach behaupten kann. Richter (Nicholas Reinke) und angeklagter Sohn (oder doch Zeuge?) sind die Einzigen, die in einer Gegenwart leben. Alle anderen Figuren sind entweder schon lange tot wie Mutter und Sybille, eines der ermordeten Mädchen, oder sie geistern wie der Vater als Untoter vor dem Kap der guten Hoffnung herum – können aber selbstverständlich gleichwohl mit den Lebenden kommunizieren. Boysen schafft da gerne Irritationen, indem er Fährten auslegt und sie gleich wieder fallen lässt. Wenigsten ein zentrales Thema schält sich heraus: die Konstruktion von Mythen, die sich Söhne von ihren Vätern schaffen, um deren Schwäche zu überspielen. Mit dem Risiko, dass am Ende die Söhne in der Psychiatrie sitzen.

Als Regisseur ist Boysen immer für Überraschungen gut. Wenn seine Inszenierungen einst von phantasievollen visuellen Ästhetiken geprägt waren, so konzentriert er sich in „Willem Vanderdecken“ ganz auf die sprachliche Realisation. Das beginnt mit einem Dialog zwischen Nicholas Reinke (Richter) und Markus Campana als Sohn Erasmus etwas spannungsarm, weil – auch dank dem Wechsel zwischen Laut und Leise, Anklage und Verteidigung, banalem und poetischem Duktus – die Struktur sehr schnell durchschaut werden kann. So greift bei leisen Stellen Campana stets zum Mikrofon und zelebriert geradezu seine Sätze. Dramatische Spannung entsteht erst mit dem Auftritt von Lucca Züchner als Mutter, ganz in Schwarz, mit der das Irritationsspiel der komplizierten Fragen beginnt. Nick-Robin Dietrich bleibt daneben als Vater Willem trotz eines auffallenden Kostüms (Kostüme auch Peer Boysen) im Hintergrund, sehr schnell auch von der wundervollen Regina Speiseder als Sybille übertrumpft, die das Spiel der doppelten Ebenen perfekt beherrscht.

Bei der Bühnenausstattung hat Boysen sich reichlich aus dem Fundus der Schauburg bedient. Die Zuschauer sitzen auf Gartenklappstühlen, die Bühne selbst wird durch ein Sammelsurium alter Sitzmöbel vom Ledersessel über Schaukelstuhl bis hin zu Barhockern geprägt. Nach hinten wird sie zunächst durch einen schwarzen Vorhang abgeschlossen, der später dann rötlich transparent wird, bis er ganz verschwindet. Zwei kleine Tresen, drei Mikrofone und eine kleine Sitzecke, zumeist Ort des Richters, vervollständigen die Szene. Alles hat den Schein der Beliebigkeit, nichts will so recht zusammenpassen.

Neben der Sprache prägen die musikalischen Atmosphären die Inszenierung. Taison Heiß und Greulix Schrank (Choreinstudierung und Sound Design) haben mit dem Münchener Frauenchor gearbeitet, der zunächst hinter dem schwarzen Vorhang versteckt ist, dann sichtbar wird, bis er am Ende ganz vorne an der Rampe agiert. Heiß und Schrank arbeiten sehr viel mit Schreien, Knarren, Wellengeräuschen, man hört verfremdete Melodiefetzen von Wagner oder aus „Junge, komm bald wieder“. Schade nur, dass dieser Frauenchor in diesem Männerstück, das von den beiden Frauen Lucca Züchner und Regina Speiseder darstellerisch dominiert wird, erst am Schluss wirklich in die Handlung einbezogen wird.

Ein wenig Wehmut hing bei diesem Abschied im Raum. Aber mit Andrea Gronemeyer kommt eine Intendantin, die in Köln und Mannheim schon gezeigt hat, dass sie eine kluge, auf neue Formen neugierige Frau von hohem ästhetischen Bewusstsein ist. Diese Neugierde wäre auch dem Münchener Publikum ans Herz zu legen.