Sturm und Drang an der Berliner Parkaue

Gender-Jokes

Friedrich Maximilian Klinger: Sturm und Drang

Theater:Theater an der Parkaue, Premiere:24.05.2018Regie:Kay Wuschek

„Heyda! Das wilde Geräusch hat mir schon so viel Wohlseyn entgegen gebrüllt, dass mir’s würklich ein wenig anfängt, besser zu werden.“ – „Beim Amor! Ist keine alte Hexe da mit der ich scharmiren könnte?“ So schreibt Friedrich Maximilian Klinger in der ersten Szene seines Stücks „Sturm und Drang“, das zwar auch in seiner Entstehungszeit so gut wie nie gespielt wurde, dessen Titel aber einer ganzen Epoche ihren Namen gab. Wer nun meint, ein Regisseur müsse diese Sprache heutzutage selbstverständlich generalüberholen, bevor er sie im Jugendtheater auf die Bühne bringt, der wird von Kay Wuscheks Inszenierung überrascht.

Der Intendant des Berliner Theaters an der Parkaue hat Klingers längst begrabenes Stück an seinem Haus exhumiert – und den Text dabei nicht möglichst nah an die jugendlichen Zuschauer herangeholt, sondern ihn in Form eines großen Kostümfests ausgestellt und mit viel Künstlichkeit in die Ferne gerückt. Alles hier ist Spiel, ist Verkleidung, ist So-tun-als-ob. Die Schauspieler tragen Perücken, Reifrock, Frack und Rüschenbluse und sprechen die Kraftausdrücke, die zu Klingers Zeiten eben noch also solche durchgingen: „Ha! Geh zum Teufel!“

Die Verwechslungskomödie, die in diesem „Wirrwarr“ (der ursprüngliche Stücktitel, bevor Klinger sich zu „Sturm und Drang“ überreden ließ) steckt, treibt Wuschek auf die Spitze, indem er die junge Generation gegen den Strich besetzt: Die Männer spielen Frauenrollen – und umgekehrt. Und das ganz offensichtlich: Johannes Hendrik Langer trägt als Jenny zwar blonde Zöpfe und rosa Kleid – aber auch seinen echten Oberlippenbart. Und Mira Tscherne fällt als Hauptfigur „Wild“ irgendwann absichtlich der aufgeklebte Schnauzer ab. Nur die beiden Väter, Vertreter der älteren, traditionsbewussteren Generation, von der sich die junge abnabeln muss, sind mit Männern besetzt.

Klingers Stück ist eine muntere Verwechslungskomödie, die, ganz Sturm und Drang, keine stringente, analytisch durchdachte Handlung verfolgt, sondern die Figuren zum Mittelpunkt macht. Drei junge, kraftstrotzende Engländer treffen in Amerika ein, um im Unabhängigkeitskrieg zu kämpfen. Bei ihrer Ankunft landen sie in einem Gasthaus, wo zufälligerweise schon ein englischer Lord mit seiner Tochter Jenny untergebracht ist, die Wild, der Wortführer dieser „angry young men“, bereits kennt und liebt. Ihr Vater ist verfeindet mit Wilds Vater – und so entfaltet sich ein etwas müder, komödiantischer Abklatsch der Familienfehde in „Romeo und Julia“. Wild verschweigt dem Lord seine Identität, bis dessen verschollener Sohn aufkreuzt, der sich schon des öfteren mit Wild duelliert hat. Der lüftet das Geheimnis um Wilds wahres Ich und prahlt damit, auf hoher See Wilds Vater getötet zu haben. Am Ende aber stellt sich heraus: Ein Sklave hat den Mann gerettet, alle versöhnen sich, Wild und seine Jenny sind in Liebe vereint und die Väter begraben ihr Kriegsbeil.

Nicht grundlos erinnert alles hier an Shakespeares Komödien – er war schließlich in der Leidenschaftlichkeit seines Schreibens Vorbild der jungen Stürmer und Dränger. Klinger war 24 Jahre alt, als er 1776 beim großen Dramatiker abkupferte – ohne freilich dessen Sprachkraft nur ansatzweise zu erreichen. Auch Klingers Figuren wirken eher flüchtig hinskizziert als plastisch.

Sie alle spielen vor einem Holzhaus, dem Gasthaus, das den hinteren Teil der Bühne annimmt. Dort gehen, stehen, kämpfen, brüllen und proklamieren sie auf und um einen sich drehenden Holzkreis, der das Verwechslungskarussell ins Kreiseln bringt. Zwischendurch wird mal eine Szene im Innern des Hauses oder auf dem Dach gegeben – kurz flackern dann Szenen per Video an der Hauswand auf; ein kleines Spiel mit modernen Ästhetiken.

Die Genderfrage, die Wuschek dem Stoff aufpfropft, wirkt allerdings beliebig. Jedes Stück bietet die Möglichkeit, Rollen gegenläufig zu besetzen, um die Frage nach wahren und gespielten Gender-Identitäten zu stellen – warum es dafür ausgerechnet Klingers eher flache Komödie braucht, mag da nicht recht einleuchten. Es ist so ehrenhaft wie mutig, dass der Intendant diese Stoff-Ausgrabung überhaupt exerziert hat – schließlich ist so eine Arbeit nicht nur im Jugendtheater äußerst selten. Doch wenn man eine triebhafte, sexuelle Verwechslungskomödie erzählen möchte, ist man beim Original, bei Shakespeare, besser aufgehoben. In dessen „Sommernachtstraum“ blicken die Figuren sogar selbst nicht mehr durch, welches Geschlecht sie haben, wen sie lieben und begehren.

Wuschek jedoch lässt die Spieler zwar ihren Vätern etwas vorgaukeln, sie selbst aber sind durchaus standfest und wissen ganz genau, was sie wollen. In ihren vertauschten Rollen bilden sie letztlich doch wieder nur dieselben heterosexuellen Paare – von Verunsicherung spricht allein der Single-Mann (bzw. die Single-Frau) Harry, der verlorene Sohn, wenn er mit den Worten abgeht: „Ich muss erst einig mit mir werden, eh’ ichs mit andern werden kann.“ Anzumerken ist ihm dieser Selbstzweifel auf der Bühne allerdings nicht.

Ein wenig mehr, als nur Rollen- und Kostümtausch hätte sich der Regisseur durchaus einfallen lassen können. Die Jugendlichen amüsieren sich über den einen oder anderen Slapstick – rutschen nach einer Stunde dann aber doch unruhig hin und her, nachdem die Verwechslung längst durchschaut ist. So bleibt’s dann doch zu harmlos, zu vorhersehbar, zu wenig eindrücklich.