Foto: Szene mit Hayk Deinyan (Dikoj) und Izabela Matula (Katja) © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 13. Juni 2016
Helen Malkowsky zeigt Janaceks (und Ostrowskijs) abgelegenes Dorf an der Wolga mit bewundernswerter Behutsamkeit als Metapher für eine ökonomisch ausgerichtete, erkaltende Gesellschaft. Kathrin – Susann Brose hat Kulissenteile auf die Mönchengladbacher Bühne gesetzt, die durch geschickten Einsatz der Drehbühne vor dunklem Hintergrund Innen- und Außenansichten zu einem lemurenhaften und doch seltsam losgelösten Nachtstück formen. Immer anders – und doch immer gleich. Als wär’s ein böser Traum. Nur dass die Figuren sehr konkret werden, die Menschen uns ans Herz greifen, weil man ihnen glaubt. Die Sehnsucht der Titelfigur nach Berührung durch einen anderen Menschen, nach Zweisamkeit und Gemeinschaft teilt sie hier mit allen anderen Figuren, ansatzweise sogar mit den beiden alten Geldsäcken. Malkowsky findet subtile, ausgefeilte Bilder dafür, etwa in Katjas und Warjas großem Duett im ersten Akt, das sie unterschwellig erotisch knistern lässt, ohne im Mindesten provokativ zu werden. Die genau in der Mitte des Stückes platzierte Nacht füllt die Regisseurin fast tänzerisch mit etlichen Liebespaaren, nicht nur mit den im ‚Drehbuch‘ stehenden zweien. Und aus dem als retardierendes Moment vor der Katastrophe gedachten Gewittergespräch macht sie einen irritierenden, fast unappetitlichen Moment absurden Theaters.
Mithilfe ihrer Regisseurin gelingt Izabela Matula eine herausragende Gestaltung der Titelfigur. Die Ödnis ihres Lebens wird kraftvoll bebildert, den unlösbaren Konflikt aus existenzieller Sehnsucht nach Zuwendung und fast demütiger Gebundenheit an enge moralische Konventionen vermittelt Matula durch intensiv gearbeitetes Spiel und berührenden Gesang. Ihr körperreicher, in der Höhe gläsern zugespitzter Sopran ist der fordernden Partie mühelos gewachsen. Um sie herum starke Rollenporträts: Mit Eva – Maria Günschmanns klar timbrierter, mutiger und lebenskluger Pflegeschwester Warja wäre man gerne befreundet, mit Markus Heinrichs berückend sonderlingshaftem Kudrjasch würde man gerne mal in der Dorfkneipe versacken. Michael Siemon und besonders Kairschan Scholdybajew charakterisieren Liebhaber und Ehemann mit viel Präsenz und noch mehr stimmlichem Raffinement und bei Satik Tumyan und Hayk Deinyan tritt absichtsvoll nahezu authistische Verkommenheit an Stelle der für Dikoj und die Kabanicha sonst üblichen Monstrosität. Und alle diese wunderbaren Sängern gehören dem Hausensemble des Theaters Krefeld Mönchengladbach an!
Wie schon bei ihren herausragenden Inszenierungen von Tschaikowskys „Mazeppa“ und Verdis „Stiffelio“ ist GMD Mihkel Kütson der musikalische Partner von Helen Malkowsky. Auch er hat das Stück überaus genau gelesen. Selten hat man die Funktionalisierung des romantischen Idioms, das Janacek hier auf die Spitze treibt, so klar, aber auch so sinnlich gehört. Kütson geht es um Klarheit und Stringenz. Schicht um Schicht entblättert er diese Musik geradezu, hält sie dabei jedoch stets im Fluss und interagiert partnerschaftlich mit den Sängern.