Foto: vorne: Eric Laporte, Sung-Keun Park, Chor der Staatsoper Hannover © Jörg Landsberg
Text:Andreas Berger, am 6. November 2018
Mit Jacques Offenbachs Opéra-bouffe-féerie „König Karotte“ steht‘s wie mit dem rheinischen Karneval: entweder man mag ihn, oder nicht. Diese Art von sinnfreien Albernheiten trinkt man sich auch mit einer Kiste Herrenhäuser Bier nicht intelligenter. Hannovers Staatsoper hat das 1872 gleich nach Ende des deutsch-französischen Kriegs uraufgeführte Freudenwerk jetzt wieder aus der Versenkung geholt, üppigst ausgestattet und musikalisch sauber einstudiert. Aber die Inszenierung von Matthias Davids orientiert sich leider so stark am Äußerlichen, am comedymäßigen Unterhaltungscharakter des Stücks, dass von möglichen politischen Anspielungen nichts weiter übrig bleibt als die wohlfeile Verspottung der Machthaber, die ja sowieso alle gleich und gleich korrupt seien.
Dass sich ein blödes Volk immer wieder vor den Karren populistischer Propheten spannen lässt, wird erst am Ende Thema. Dass es in einer republikanischen Staatsform die Mächtigen kontrollieren und zu sozialverantwortlicher Staatsführung zwingen kann, bleibt unerwähnt. Inwieweit Offenbach und sein Librettist Victorien Sardou solch volksaufklärerische Hintergedanken hatten, steht freilich im Zweifel. Ihr Ansatz scheint eher konservativ. Demnach ist der Mensch nicht zu ändern, die Staatsform egal, erstaunlicherweise dann aber doch das Individuum zu entwickeln, wobei sich die Hoffnungen hier unverständlicherweise auf den so verschwenderischen wie unterbelichteten Prinzen Fridolin richten, der sich auf allerlei Abenteuern zu einem verantwortungsvollen Potentaten mausern soll. So viel reaktionäres Gedankengut, so fröhlich-harmlos verpackt, das gehört kritischer in Frage gestellt als hier.
Da hilft auch nicht der Programmheft-Hinweis, dass die zwischenzeitliche Invasion einer Fuhre Gemüse, die Fridolin stürzt und eine dicke Karotte zum König macht, der Machtausübung eines gewissen amerikanischen Präsidenten ähnelt. Auf der Bühne enthält sich Davids nämlich aller Aktualisierungen. Weder wird die Karikatur der Emporkömmlingsgesellschaft um Napoléon III. vorgeführt, die Offenbach und Sardou intendierten, noch der berlin-bayerische Intrigantenstadel um Merkel und Seehofer, mit dem die Handlung der ständig die Lager wechselnden Minister auch Ähnlichkeiten hat. Susanne Hubrichs Kostüme verorten das Geschehen in einer knallbunten Lady-Gaga-Welt, aber das Bittere an einer dermaßen von ihren eigenen Interessen abgelenkten Spaßgesellschaft kommt leider nicht zum Tragen. Da vergnüg sich dann, wer will.
Am ehesten kann man Mathias Fischer-Dieskaus Bühnenbild Reiz abgewinnen, versucht er doch die Féerie gegenüber der Buffa zu betonen und zeigt in den zahlreichen Verwandlungen zwischen Palast, Antike, Dschungel und Ameisenhaufen stets, wie die Effekte und Stimmungen erzeugt werden. Da hängen die Säulenkapitelle an sichtbaren Prospektzügen, sieht man die Scheinwerfer und Kulissenschieber, der verspiegelte Bühnenrahmen bildet ein Theater im Theater. Der ganze Theaterzauber ist gemacht, auch die Politshow somit änderbar und das Leben gestaltbar. Leider verfolgt die Regie diesen Ansatz nicht, sondern zieht Shownummern ab.
Diese sind mal gelungenes Cabaret wie der tiefstimmige Daniel Drewes en travesti als Hexe Kalebasse, die immer die letzten Stufen der Showtreppe verstolpert. Oder grotesk wie das monty-python-mäßige Abreißen und Verheizen der Glieder des Zauberers Quiribibi. Oder eklig wie die Riesenpopel des Königs Karotte.
Die Handlung schlägt wilde Haken. Erst am Ende aber trotzt Davids der mehrfach wiederholten Weissagung, dass Karotte nicht von Menschen besiegt werden kann, und lässt dann doch ein aufgewiegeltes Volk über ihn herfallen. Dabei ist der Affe, der ihn bei Offenbach kriegt, schon aufgetreten. Die handelnde Masse ist gesteuert. Ihr „Zerschlagt ihn zu Brei“ hätte Davids stärker als gefährliche Pointe einer politisch unbewussten Gesellschaft ausstellen müssen. So kehrt Fridolin auf den Thron zurück, ob geläutert, darf bezweifelt werden.
Einzig der Einfluss von Rosée-du-soir könnte uns zuversichtlich stimmen. Athanasia Zöhrer singt die neue Geliebte Fridolins mit einem wunderschön weichen, auch in den Höhen warmen Sopran und beglaubigt so ihr aufopferungsvolles Handeln zuvor. Dagegen wirkte Vorgängerin Kunigunde, von Stella Motina mit entsprechend brillantem Sopran gesungen, selbstbezogen-überdreht. In der Hosenrolle des guten Kobolds Robin überzeugt Mareike Morr mit einem sehr textbezogen artikulierten Mezzo und jungenhaftem Spiel. Während Eric Laporte einen kraftvoll-klaren Tenor für den Fridolin mitbringt, wird König Karotte von Seung-Keun Park mit den gefärbten Tönen eines Charaktertenors pointiert. Ensemble und Chor spielen engagiert, wer‘s auch mal albern mag, kommt auf seine Kosten.
Valtteri Rauhalammi gibt dem Niedersächsischen Staatsorchester Zunder, das fordert flinke Artikulation des deutsch gesungenen Textes. Da muss der Dirigent auch mal zwei Sänger wieder einfangen, aber die ganze Show läuft doch mit großer Verve, manch Tschingdarassabum, freundlichen Walzern und für Rosée auch mit romantischen Arien. Letztlich überschwappt die Musik die hanebüchene Geschichte wie ein klamaukiger Rausch, der am Nachdenken hindert. Muss man mögen, oder nicht.