Foto: Gloria Iberl-Thoeme mit dem Hochzeitspaar Macheath und Polly © Pedro Malinowski
Text:Andreas Falentin, am 27. April 2025
Regisseur Markus Bothe wählt einen sehr analytischen Ansatz, eine unhgewöhnliche Form, das Puppenspiel, und eine ungewöhnliche Besetzung für Brechts „Die Dreigroschenoper“ am Musiktheater im Revier. Alles geht am Ende auf.
Warum ausgerechnet „Die Dreigroschenoper“ mit Puppen inszenieren? Die Distanz, oft ein Grund für Puppenspiel, kann es nicht sein bei diesem Stück, das selber hauptsächlich aus Distanz besteht. Und das artistische Element, das Puppenspiel heute gerade im Schauspiel häufig hat, schafft hier ausschließlich Dekoration. Denn für diese Theaterform ist „Die Dreigroschenoper“ zu einfach gebaut, was gleichzeitig die große Stärke dieses Stücks ist.
Markus Bothe will in seiner Inszenierung auf die Dramaturgie des Brecht-Erfolgs hinaus. Er analysiert die Klischees, die das Fundament des Stückes sind. Robert Schweer hat ihm dafür die Bühne leergeräumt – sie besteht nur aus einem schachbrettartigen Quadratboden aus Parkett mit mehreren Bodenklappen.
Gemischtes Ensemble
Das gemischte Ensemble (drei Puppenspieler, drei Sänger, zwei Schauspieler) gestaltet den Mackie-Messer-Song am Anfang gemeinsam. Messer steht in der Mitte der dunklen Bühne, die andern tragen Scheinwerfer und singen, jeder eine Strophe. Sie präsentieren sich schon zu Beginn als ein Ensemble: Alle können singen, sprechen, spielen und Handpuppen führen, jeder auf seine individuelle Weise. Und das Spiel mit Spieler:innen und Puppen, das Mehr von Beziehungen des modernen Puppentheaters reicht aus, das Stück zu erzählen und seine Modernität auszustellen.
Trotzdem fehlt im ersten Teil etwas. Das liegt nicht an Lutz Rademacher, der die Partitur im Zusammenwirken mit der Neue Philharmonie Westfalen stilsicher als Amalgam präsentiert, als ambitionierte Kammermusik und fast schmierige Unterhaltung. Eher darin, dass er nicht im Graben dirigiert, sondern auf einer Empore hinter der Bühne. Die Sänger:innen sehen ihn nicht und schwimmen teilweise ein wenig bei den Einsätzen und in den Duetten. Und man versteht nicht wirklich, was der analytische Ansatz in diesem ersten Inszenierungsteil leistet.
Nach der Pause ist alles anders
Nach der Pause ist alles anders. Keine musikalischen Wackler mehr, nicht einer. Und plötzlich ist alles verständlich: Das, was Brecht will, dass das Leben ein Spiel der Reichen ist – wie das des Geschäftsmanns Peachum (sehr lakonisch und charmant; Klaus Brömmelmeier), des Politikers und Polizeichefs Tiger Brown (schön sonor: Sebastian Schiller) und der Gangster Macheath (Gloria Iberl-Thieme), die ihr Schlussstück faszinierend singt. Man versteht, warum Macheath von einer Frau gespielt wird, nämlich um ihn einfach gierig und rücksichtslos zu machen, nicht verbrämt mit männlichem Charme; warum Frau Peachum (der fein phrasierende Tenor Martin Homrich) ein Mann ist, weil eine „klassische“ Ehefrau nicht ins Regie-Konzept passt; und warum Lucy Brown mit Daniel Jeroma von einem Mann gespielt wurde – um die Figur nicht zum Opfer zu machen.
Denn am Ende, als der Chor klangmächtig und sehr witzig als Bote auftritt und alle sich in den Armen liegen, stehen drei Menschen außerhalb der Menge: Macheaths drei Frauen sind berührt vom Brechts Spiel um Reichtum und Wohlstand, ihre Wunden heilen nicht, sie sind Anklägerinnen gegen die Dramaturgie des Stückes, die Frauen immer nur auf Männer bezogen darstellt und auch gegen den Dramatiker Brecht. Bele Kumberger (als Spelunken-Jenny, die am Schluss tollen Brecht-Gesang abliefert), Daniel Jeroma und Fayola Schönrock (als wahnsinnig frische Polly die Entdeckung des Abends) singen jeweils eine Mackie-Messer-Strophe. Das Licht verlischt, das Publikum tobt, der Funke ist übergesprungen.