Foto: "Gras drüber" am Theater Ingolstadt © David Baltzer
Text:Christian Muggenthaler, am 15. Oktober 2018
Es ist ein Bühnengeschehen in permanentem Schleudergang und in dauerhaft hochkomischer Schräglage: „Gras drüber“ von David Spicer ist am Stadttheater Ingolstadt ein Wundermittel gegen jegliche Anfälle von Verdrießlichkeit und Übellaunigkeit, ist ein derartiges Dauerprasseln von herrlichsten Wunderlichkeiten und Absonderlichkeiten, dass ein Fest der Sinne entsteht mit den Mitteln geplegtesten Nonsense. Für die deutschsprachige Erstaufführung des Stücks hat Regisseur Sebastian Kreyer eine schräge, phantastisch-durchschwurbelte Parallelwelt auf die Bühne geballert, die den Vergleich mit den Helden britischer Anarcho-Hochkomik nirgendwo zu scheuen braucht.
Die Handlung gibt besagte Schräglage vor: Der Hippie Gerry betreibt eine Froschzuchtstation, die ein großes Geheimnis birgt. Er rührt dort die Wirkstoffe seiner Marihuana-Pflanzen mit dem bewusstseinsverändernden Sekret der Aga-Kröte zusammen. Er selbst scheint dabei sein erster und bester Kunde zu sein, denn das Krötenlecken bringt ihn in aberwitzige Sphären, denen der Zuschauer nun folgen darf. Und wer sich vielleicht am Einlass noch gewundert hat, wieso dort 3-D-Brillen verteilt wurden, weiß bald genau: Sie dienen als Einlass durch die Pforte des Krötenwahns.
Es geht hinein in einen psychedelischen Ritt durch einen stakkatohaften Reigen von Film-, Musik- und Bildzitaten. Eine Leinwand bietet konsequent eine zweite Spielebene, auf der besagte 3-D-Film-Passagen die Sinnenfestgäste in Gerrys Wahnwelten entführt. Froschmutanten planen dort Menschenexperimente an Gerry, es geht auf wilde Achterbahnfahrt. Valerij Lisac hat dafür Musik, Soundcollagen und Videos zusammengestellt, Ausstatterin Lena Thelen unterstützt mit Bühne und Kostümen dieses Durcheinander mit dem leicht heruntergekommenen Interieur der Froschfarm und schrillen Outfits, die sich durch die 80er Jahre zitieren.
In einer zweiten Handlungsebene geht es munter weiter. Denn die militanten Tierschützer Marc und Jago entführen die sterblichen Überreste von Garrys Mutter, um ihn zur Aufgabe der Tierqual-Farm zu zwingen, verlieren aber ständig Teile von Mamas Knochengerüst. Gerrys Bruder Roger will ihn zu einer bürgerlicheren Existenz überreden, befindet sich aber, wie sich herausstellt, selbst in einer kaum gesellschaftstauglichen Schräglage. Sein Töchterchen Caro fährt ihren ganz eigenen Plan – und auflösen soll all das der zwar höchst selbstverliebte, aber konsequent erfolg- und ahnungslose Inspektor Clout.
Kreyer und sein fulminantes Ensemble lassen kein Wortspiel liegen, keine Blödelei aus, keine Seltsamkeit ungespielt, nichts ist ihnen zu krude. Beim gerufenen Wort „Oberschenkel“ bringt ein Ober einen gebratenen Hähnchenschenkel. Roger dreht durch, weil der Inspektor besagtes Wort nach jedem Satz in sein Funkgerät plärrt. Es hagelt Filmzitate. Und selbst der „Ich geh mal in den Keller“-Move bleibt nicht ungenutzt. Man darf sich die Probenarbeit als Jahrmarkt der Ideen vorstellen. Man müsste sich, um all dies aufnehmen zu können, einen zweiten Theatergang gönnen.
In all diesen Seltsamkeiten bleiben die Figuren in großer Ernsthaftigkeit. Komik ist schließlich immer dann groß, wenn Zertrümmerungsorgien in besagter Ernsthaftigkeit vonstatten gehen, und hier ist diese Zertrümmerung zuletzt recht beeindruckend. Mark Rogge und Felix Steinhardt sind als Marc und Jago ein heilloses Anarchistenpaar, das sich von Caro, die Andrea Frohn als eine Art Praline des Unheils gibt, versiert an der Nase herumführen lässt. Olaf Danner macht den Gerry zum Aussteiger, der sich liebend gern das Hirn verätzt, Sascha Römisch seinen Roger zum zerknautschten Vertreter eines untergehenden Mittelstands. Im Kern aber steht Ulrich Kielhorn als Inspektor Clout: ein Widergänger diverser Polizeifilme, der sich aus der Zeit wölbt wie ein Geist. Passt zu einer Inszenierung, die auf der Bühne regelrecht spukt vor lauter geistreichen Einfällen im Krötenland.