Foto: Emanuel Gats „Brilliant Corners“ auf PACT Zollverein im Rahmen der Ruhrtriennale. © Emanuel Gat
Text:Ulrike Kolter, am 9. September 2011
Eigentlich wollte er Musiker werden, Dirigent oder Komponist. Doch mit 23 Jahren entdeckte Emanuel Gat sein Talent für den Tanz, erkannte, wie nahe das Erfinden choreografischer Strukturen dem Komponieren musikalischer Werke ist. Und gehört inzwischen – wohl auch wegen dieser doppelten Perspektive auf seine Stücke – zu den spannendsten zeitgenössischen Choreografen. 2004 gründete der gebürtige Israeli „Emanuel Gat Dance“ in Tel Aviv, wechselte 2007 mit seiner Kompanie nach Frankreich und tourt seitdem überaus erfolgreich in der weltweiten Tanzfestivalszene.
Sein aktuelles Werk „Brilliant Corners“ (uraufgeführt bei der Biennale in Venedig und erstaufgeführt in Deutschland beim diesjährigen Festival „Tanz im August“) wurde nun im Rahmen der Ruhrtriennale auf PACT Zollverein in Essen gezeigt. Wobei erwähnt sein muss, dass das bemerkenswerte Tanzprogramm nicht von Intendant Willy Decker, sondern vom choreografischen Zentrum PACT Zollverein kuratiert wird. Ohne deren Kontakte würde Bill Forsythe wohl nicht die zweite Spielzeit in Folge die Bochumer Jahrhunderthalle beehren (Premiere von „Now This When Not That“ ist am 5.10.2011).
„Brilliant Corners“ wird von 10 Tänzern in bequemer Alltagskleidung – exerziert, könnte man fast sagen. Denn diese 60 Minuten experimentieren mit den Wahrnehmungsdimensionen Klang, Zeit und Bewegung im Raum. Dafür ist entscheidend, dass die Komposition natürlich von Gat selbst stammt: Das Wort Musik trifft es kaum, eher changieren die Klänge zwischen lebhaften Bach-Präludien, melancholisch-gebrochenen Pärt-Akkorden und schrillem, basslastig verstärktem Synthesizer. Dieser abstruse musikalische Stielcocktail formt die Bewegungsstruktur der Tänzer in unfassbarer Selbstverständlichkeit. Von der ersten Sekunde an leitet der Klang alle Abläufe im Raum. Was als theatrale Normalität eingeführt wird – die simultane Wahrnehmung mit allen Sinnen – wird dann allerdings aufgelöst. Zum Beispiel, indem Momente der Stille einbrechen, in die nur schleifende Schrittgeräusche und der beschleunigte Atem der Tänzer dringt. Oder, indem die Gruppe – teils sitzend, teils stehend – minutenlang in einer Position verharrt, während die Musik weiterdröhnt. Die Bewegungsabläufe selbst bleiben unspektakulär aber geschmeidig. Qigong und Breakdance-Elemente, viele Drehungen aus der Körpermitte, Rennen, entspanntes Warten, und immer halten die Tänzer Blickkontakt zueinander, beobachten die Aktionen der anderen. Sehr harmonisch, ein großes Miteinander.
Das stumme, hochgradig disziplinierte Publikum zur Premiere im PACT Zollverein war eine Wucht. Kein Wunder, bei diesem Aufmerksamkeit fordernden Werk.