Foto: Karim Daoud, Linda Vaher, Mehmet Yılmaz in "Schwarzer Block" © Ute Langkafel MAIFOTO
Text:Barbara Behrendt, am 6. September 2020
Am Ende feiert der Schwarze Block sich selbst in einer spektakulären Demonstration vor dem Gorki Theater. Die Spielerinnen und Spieler stellen sich heldenhaft in den Strahl des Wasserwerfers (ein zahmer Wasserstrahl), sie zünden Bengalos und finden sich im dichten Rauch selig in der Gemeinschaft wieder, in der alle solidarisch für eine bessere Welt zusammenstehen.
Noch verklärter und verharmlosender geht’s nun wirklich nicht. Auf Ironie darf man nicht hoffen – so ungebrochen und auf Effekte setzend inszeniert Sebastian Nübling den ebenso verklärten, geradezu gewaltverherrlichenden Text von Kevin Rittberger über „hundert Jahre Antifaschismus“.
Der Schwarze Block ist bekanntlich keine feste Gruppe, sondern setzt sich aus linken, autonomen, linksextremen Einzelpersonen zusammen, die in schwarzer Kleidung auftauchen, mit Sonnenbrille und Kapuze, um von der Polizei nicht erkannt zu werden. Wenn der Schwarze Block mitmarschiert, kommt es gern mal zu Gewalt. Wer oder was dieser „Schwarze Block“ eigentlich ist – das wollte Rittberger in seinem Stück selbigen Titels untersuchen. Figuren oder eine stringente Erzählung findet man darin nicht. Dafür eine über 80 Seiten lange Textfläche, die einzelne Stimmen aus den vergangenen hundert Jahren eklektisch herausgreift: Der Schwarze Block versucht im Selbstgespräch eine Selbstfindung.
Entstanden ist ein Pamphlet gegen den Staat, gegen die Zivilgesellschaft. Schon zu Beginn ist vom „durchfallgeschwächten Mittelstand“ die Rede, den „dementen Liberalkonservativen“. Im Laufe des Textes wird an all die Opfer erinnert, die im „antifaschistischen Kampf“ ihr Leben gelassen haben. „Ich, Fritz Glatt, Schlosserlehrling aus Kreuzberg, sterbe auf der Barrikade“, heißt es da über einen Mann, der beim Kapp-Putsch 1920 in Berlin getötet worden ist. Dann springt Rittberger ins Jahr 1985, als bei einer Anti-NPD-Demo in Frankfurt der Antifaschist Günter Sare von einem Wasserwerfer der Polizei überrollt und getötet wird. Die Polizisten wurden nicht angeklagt. Weiter geht es zum NSU und zu den neonazistischen Morden in Hanau, Erfurt usw.
Rittberger spricht fast ausschließlich von Polizeigewalt und der Bedrohung durch den Neofaschismus. Dass er gegen diesen rechten Terror Alarm schlägt, bleibt das einzig Positive am Text. Von „Kunst“ kann hier kaum die Rede sein – das Stück ist astreiner Aktivismus. Eine Glorifizierung der Gewalt des Schwarzen Blocks im gerechtfertigten Kampf gegen Neonazis.
Zu lesen ist eine hermetische Geschichtslektion mit höchst verengtem, antagonistischem Geschichtsbild, die wirkt wie im Hinterzimmer der Antifa entstanden: Der Staat ist faschistisch, Polizisten sind rechte Bullen, Rassisten und Faschisten, die Eliten sind korrupt, die Mehrheitsgesellschaft unsichtbar, feige oder dumm – nur im Schwarzen Block marschieren die großen Helden der Geschichte. Im Kampf haben sie sich geopfert. Man wettert gegen die „Gesamtscheiße“, fordert die Abschaffung des Systems und stilisiert den Schwarzen Block als Retter der Demokratie. Kleine Kostprobe? „Als Linker wirst du kaputt gemacht, als Rechter packt man dich in Watte. Der Staat macht dich kaputt!“ – „BRD Bullenstaat wir haben dich zum Kotzen satt!“ – „Bullen, Phrasen oder Nazis dreschen, das ist doch die Frage.“ – „Ein Schwarzer Block weiß, dass die Polizei nicht Freund und Helfer ist. Ein Schwarzer Block steht zusammen. Ein Schwarzer Block hilft Menschen, die unter dem Druck der bestehenden Verhältnisse zusammenbrechen, wieder auf. Ein Schwarzer Block rettet der Demokratie den Arsch.“
Nichts von den Gräueln der RAF, die ebenfalls diesen schlichten Antagonismus vertreten haben. Nichts von Demokraten, die dem Faschismus vielleicht noch etwas anderes entgegenzusetzen hatten (und haben) als die Keule. Oder ist alles ein Missverständnis – handelt es sich um ein dokumentarisches Stück, ähnlich wie Dirk Lauckes „Ultra“ 2009, das damals radikale Fußballfans porträtiert hat? Will Rittberger Einspruch provozieren? Im Text selbst gibt es keinerlei Anhaltspunkte einer Distanzierung oder Einordnung. Im Gegenteil, es weht immer wieder die Sehnsucht nach Gemeinschaft hindurch – eine unangenehm verklärte Sicht auf martialische Gewalt und Heldentum, Kampfromantik naivster Sorte. Abseits des Textes hat sich Rittberger am Tag der Premiere in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur fasziniert vom Schwarzen Block geäußert: Die Antifa mache für die schönen Stadtteile die Drecksarbeit und stelle sich Nazis entgegen, sagte er. Genau so steht es im Stück.
Sebastian Nübling feiert den Text nun völlig ungebrochen und trotzt ihm in 90 Minuten ein rasantes Tempo ab. Die Zuschauer sitzen mit Kopfhörern im Saal und schauen auf den geschlossenen eisernen Vorhang – hier werden den Abend über Videobilder eingespielt, die nebenan im Gorki-Container, vor dem Theater und im Foyer zur selben Zeit live entstehen. Eine Setzung, die Corona geschuldet ist – die 15 Spielerinnen und Spieler können kaum gemeinsam auf der kleinen Gorki-Bühne stehen.
Aus dem Container heraus inszeniert Nübling zunächst düstere Bilder einer Zombie-Show. Die Opfer aus den Reihen des Schwarzen Blocks sprechen mit fehlendem Auge oder bandagiertem Gesicht aus dem Grab heraus in die Kamera. Die Wasserwerfer-Attacke auf Günter Sare wird fast fernsehrealistisch gespielt, die Schauspieler tragen alte Polizeiuniformen und knüppeln (natürlich!) brutal und effektvoll alles nieder. Der Abend gipfelt in der großen Demo vor dem Theater: „Ein Schwarzer Block rettet der Demokratie den Arsch!“ Trostlos eine Demokratie, die eine solche Schlägertruppe nötig hat, möchte man anmerken – und zumindest diese (banale) Einsicht hat der Abend befördert.