Foto: Martin Schwartengräber, Claudia Wiedemer, Jennifer Lorenz, Mathias Lodd und Franziska Arndt in "Eine Stille für Frau Schirakesch" am emma-theater Osnabrück. © Jörg Landsberg
Text:Jens Fischer, am 5. September 2011
„Eine Stille für Frau Schirakesch“ ist Theresia Walsers neue Komödie der menschlichen Kommunikation betitelt. Aber wer ist Frau Schirakesch? Sie tritt nie auf, keiner kennt sie, keiner will sie auch so recht kennen, so funktioniert ihr offensichtlich empörenswertes Schicksal besser als Symbol für den westlichen Menschenrechtsfuror. Aus ihrem Burka-Schlitz, so wird jedenfalls kolportiert, soll ein Blick gefunkelt haben, von dem sich ein Mann irgendwie unsittlich berührt fühlte. Sein Problem? In einem islamischen Staat des patriachalen Extremismus stehen solche Blicke unter Todesstrafe. Frau Schirakesch soll nun gesteinigt werden. Auf der Woge der Sensationslust und Empörung surfen alle Nicht-Islamisten gern mit, das garantiert Einschaltquoten, so dass eine TV-Plaudersendung ins Programm gehievt wird, die mit der titelgebenden „Stille“ Solidarität und Protest bekunden soll – aber nur Mittel zum Zweck der Selbstdarstellung ist. „Wir spielen hier Verzweiflungstheater“, analysieren die Talkgäste ganz richtig. Sie ziehen ein wenig Lebenssinn aus dem Dagegensein – und machen vor allem mächtig PR in eigener Sache. „Stille“ ist das einzige, was es nicht zu erleben gibt.
Die Moderatorin wirbt mit ihrer Anbiederungsmimik für sich und ihre Show, ein eitelgerader General als martialischer Auskenner für die Interpretation des Kriegs als humanitäre Aktion. Im Bikini-Outfit und mit Laufsteg-Getue will eine Schönheitskönigin ihre Karriere voranbringen, eine Kollegin zeigt plappermäulig verzickt, dass blonde Haarfarbe nicht auch dummdöseliger Verstand bedeutet. Und ein Vater versucht mit seiner Tochter aufzutrumpfen, einer kriegstraumatisierten Soldatin. Wie schon in Walsers „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ befeuert das Warten die dramatische Situation, eine Art Laboratorium entsteht vor noch nicht laufender Kamera, in der normale Betroffenheitsdarsteller aufeinanderprallen, übereinander herfallen, mit ihren Ansichten diverse Scharmützel eröffnen, sich selbst dabei zur Kenntlichkeit entlarven. Die Gruppendynamik treibt so das Stück in die Groteske. Die zugrunde liegende Realität ist natürlich tragisch, was in moralischer Überforderung an Worten dabei den aus den Figuren herauspurzelt – natürlich komisch. Als Medienkritik wäre das etwas wenig für einen Theaterabend. Weswegen Walser mit kunstvollem Zugriff auf die Sprache der öffentlichen Debatten die unterschiedlichen Interessen dahinter transparent macht. Die Autorin prägte dafür die Formulierung „polyphone Konfliktmusik“. Also ein harscher Sound der Widersprüche, den es auszuhalten gilt, wenn keine gottgegebene Wahrheit existiert. Jede Figur hat auf ihre Art Recht/Unrecht. In der Abstraktion militärischen Strategiedenkens werden somit auch durchaus korrekt „sorgfältig geplante Einwirkungen“ geplant und realisiert, wie Walsers Show-Moderatorin aus ihrer Perspektive wiederum zurecht kritisiert, wo es sich doch um vorsätzlichen Mord handelt, um ein gezieltes Bombardement von belebten Orten.
Für das Aushalten solcher Gegensätze findet Walser in Annette Pullen eine Regisseurin, die den Text fein durchgehört hat, ohne auf die von der Autorin so gehasste Regie-Originalitätssucht, Bebilderungspenetranz und das Ertränken mit Musik auskommt, das Libretto vielmehr in seinem Sprachwitz anspielungsreich zum Klingen bringt. Auch in Nebensächlichkeiten. Das „Ich fahre nie wieder nach Bielefeld“ der Schönheitskönigin funktioniert gerade am Uraufführungsort ganz prima als Anspielung auf Thomas Bernhards, dessen Theatermacher ihren Provinzhass gern gegen Osnabrück richten. Und natürlich wird gefeiert, wie Walsers Sentenzen immer wieder auf hübsche Wortzusammensetzungen zulaufen – wenn etwa der General über Blicke aus Burka-Schlitzen fantasiert: „Die jagen einem das Blut sonst wohin, dagegen ist ja alles, was wir hier so … ich meine, die eingezwängten Popos rechts und links, Schlitze vorne, oben hinten, die ganze Aufreizungshölle“.
Pullen ist durchaus eine prima Dirigentin der Gesprächspartitur, sie löst den groben Typenakkord immer wieder in individuelle Motive auf, bemüht sich im raschen Pingpong der Argumente um ein ausbalanciertes Sprachspiel. Die Schauspieler denunzieren ihre Rollen nicht, gehen sie allesamt mit deutlicher Ironie an und genießen es, dass Walser die Rollenklischees mit Intelligenz unterfüttert, damit stärkt und irgendwie gleichberechtigt nebeneinander stellt. Mangel an Positionierung ist Walser Position. Einfache Antworten gibt es nicht, nur unaufgedröselt im Raum stehende Fragen.