Entstanden ist ein vitales, zauberhaftes Gesamtkunstwerk aller Theatersparten in der ungemein detailreichen Regie von David Pountney mit Unterstützung des vielseitigen Choreografen Amir Hosseinpour. Anne Marie Legenstein entwarf über 300 Kostüme. Robert Israel führt die reibungs- und lautlos funktionierenden technischen Möglichkeiten des Spielraums mit zwei Drehbühnen vor. Die Akustik ist vorzüglich. Banalität und Poesie gehen eine Allianz ein, die an Theatralik ihres gleichen sucht – zumal im Finale.
Da bevölkern über 200 Sänger, Schauspieler, Tänzer, Laien und Musiker die riesige Bühne und den hochgefahrenen Orchestergraben. Ein prachtvolles Bild entfaltet sich – ein Farbenspiel mit Lichtkaskaden und Strahlenbündeln, gespiegelt auf metallisch gleißenden Wänden. Die Drehbühnen kreisen und fahren einen Wust an Möbeln und Menschen auf. Im Tohuwabohu der Endzeittristesse reihen sich Kinder in Lederhosen und orangen Hemden und Schauspieler als mythische Gestalten von Medea bis Ödipus auf, bayerisches Volk in Dirndl oder mit Alphorn. Tänzerinnen schmeißen als feuerrote Variete?-Truppe Beine und Po. Das Bruckner-Orchester streicht und bläst das Finale auf der Bu?hne in schrillem Karnevalsputz; Dirigent Dennis Russell Davies bedeckt den kahlen Kopf mit einem goldenem Pappkrönchen. Im Graben räkeln sich derweil auf den grün gepolsterten Musikerstühlen Choristen und Statisten. Opernfiguren wie die Rosenkavalier-Marschallin mit ihrem Kavalier Octavian und Salome posieren zwischen Trauernden, Kriegsopfern, Krankenschwestern – und (freundlichen Oster-) Hasen. Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“ lässt vielmals grüßen. Allerdings hat Pountneys Inszene weit mehr fröhlichen Unterhaltungswert.
Mit einem gewaltigen Pauken-Crescendo endet Glass‘ neue Oper – eine überraschend poetische, feingliedrige, hauchzarte, Klangfarben reiche und gelegentlich auch witzige Partitur mit selten lauten, oftmals melodiösen Lyrismen ohne den typischen endlosen eindimensional minimalistischen Klangteppich. Die kurzen „Sätze“ entsprechen Handkes kleinen Episoden und Dialogfetzen. Harsche Dissonanzen, Provokation und Irritation blieben außen vor bei diesem Balanceakt, genau 210 Jahre nach Eröffnung des ersten Theaters in der (späteren) oberösterreichischen Industriestadt eine weitere Spur zu legen in Richtung Vision einer zeitgemäßen Stadt der Arbeit und Kultur.
Die Festwoche mit sieben Premieren begann bereits am Abend vor der Glass-Uraufführung. Kaum war die Direktübertragung der festlichen Theatereröffnung in den Volksgarten beendet, hob auf dem Theatervorplatz der einstündige „Parzival“-Verschnitt (mit Musikausschnitten aus Lautsprechern) der katalanischen Straßentheatergruppe El Fura dels Baus an: eine Metallkonstruktion, an der 40 wagemutige Linzer baumelten, schwebten aus 30 Meter hohe Höhe wie ein Ufo ein. Die Laienartisten formten schwebend artistische Muster, während die spanischen Theaterleute den zehn Meter hohen Luftballon-Helden über den Platz wandeln ließen, ihm winzige Klingsor- und Amfortas-Marionetten auf die Schulter oder aufs Theaterdach setzten. Kundry sandte ihren Urschrei aus einem Berg Kanonenkugeln durch die Nacht. Flammen schossen auf aus Klingsors Zaubergarten und die Enthüllung des Grals versank in einem Feuerwerk. Dicht gedrängt unter den uralten Gingko-Bäumen des Volksgartens verfolgten viele hundert Linzer das Spektakel an drei Abenden. Der Auftakt zum „Theater für alle“ jedenfalls gelang vollauf. Die Deutsche Bühne berichtet in ihrem Juni-Heft ausführlich über das neue Haus.