Foto: Großartiges, fein choreographiertes Ensemble in "Drei sind wir" am Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold
Text:Ute Grundmann, am 17. April 2020
Die Frau teilt Küsse und Schläge an eine andere Frau aus. Die wehrt sich, vergeblich, wie eine Schubkarre wird sie über die Bühne gezogen, dann auf- und ausgerichtet wie eine Puppe. Solche körperliche Gewalt ist selten und dafür umso prägnanter in Wolfram Hölls Stück „Drei sind wir“, wie es Thirza Bruncken inszeniert hat. Die Rätsel beginnen schon mit dem Titel – denn auf der kleinen Probebühne des Schauspiels Leipzig, „Diskothek“ geheißen, agieren vier Schauspieler (Anna Keil, Bettina Schmidt, Julius Bornmann, Sebastian Tessenow). Dazu kommen die Menschen in Gedanken, ein Kind, Groß- und Urgroßmutter und immer wieder „er“.
Im Jahr der Uraufführung, 2016, erhielt Wolfram Höll für sein Stück in dieser Inszenierung den Mülheimer Dramatikerpreis. Jetzt konnte man der 80 Minuten kurzen Aufführung wiederbegegnen oder sie entdecken – im Stream. Die Kamera bleibt dabei unbeweglich auf den schmalen Bühnenkasten (Szenerie und Kostüme: Christoph Ernst) gerichtet. Sie folgt auch den Bewegungen der Schauspieler nicht, wie es Zuschaueraugen tun würden, keine Großaufnahmen bringen die Darsteller näher als es im Theater möglich ist. Die Kamera dokumentiert – und das ist gut so.
Denn Thirza Bruncken hat Sprache und Bewegungen sehr exakt choreographiert und das kleine, großartige Ensemble hält sich strikt daran. „Wir sehen, dass er anders war“, so beginnt es; mit purer, kühler Sprache. Kanada, Amerika tauchen als Träume auf, scheinbar hält ein Taxi vor der Tür, wartet vielleicht ein Flugzeug. Nichts davon sieht der Zuschauer, dafür zwei Frauen und zwei Männer, namenlos, brav-bürgerlich gekleidet, gefangen in einem Ratlos-Stakkato der Erinnerungen, Hoffnungen, Befürchtungen. „Wenn sie fast gegangen sind, dann stehen sie noch da, die Väter“ – das ist so ein typischer Höll-Satz, dem und denen Thirza Bruncken Luft zum Atmen lässt.
Hier gibt es nichts Überflüssiges: Wenn die Figuren zu „I want to break free“ einzeln tanzen, wirken sie noch einsamer als sowieso schon. Selten kommen sie zusammen, sich näher schon gar nicht. Bisweilen wechselt die Bühne die Farbe (von Rostrot zu Dunkelgrün, am Ende erstarrt alles in Eis), Lichtgewitter erschüttern Szene und Menschen. Und so wie der, der verschwunden ist, schwinden auch Hölls Figuren, bis sie nur noch Schatten ihrer selbst sind.
Das ist so dicht und packend inszeniert und gespielt, dass man die angebotene Pausentaste geflissentlich übersieht. Schade nur, dass es weder Vor- noch Abspann gibt, die Mitwirkenden also ungenannt bleiben. Dafür gibt es richtigen Applaus – den können auch die schönsten Emojis nicht ersetzen.