Foto: Christina Vasileva und Adriano Graziani in "Der Mantel" © Maurice Korbel
Text:Georg Rudiger, am 29. April 2014
Kritik zu Giacomo Puccini/Béla Bartók: „Der Mantel/Herzog Blaubarts Burg“ am Theater Freiburg
Es sind zwei Opern, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, außer dass beide im Jahr 1918 uraufgeführt wurden. Das Freiburger Theater hat nun Puccinis Einakter „Der Mantel“, eigentlich der erste Teil des aus insgesamt drei Kurzopern bestehenden „Il Trittico“, mit Béla Bartóks einziger Oper „Herzog Blaubarts Burg“ kombiniert. Bei Puccini tötet der Mann am Ende den Liebhaber seiner Ehefrau, in Bartóks Oper bringt Herzog Blaubart seine frisch vermählte Gattin um. Was die Opern miteinander verbindet, ist ihre Radikalität und der tragische Schluss.
Regisseur Jörg Behr hat in seiner stimmigen Inszenierung in der Ganter-Theaterhalle noch weitere Verbindungen zwischen beiden Einaktern gezogen. Die sieben über die gesamte Bühne verteilten Wohncontainer, die bei Puccini den Seine-Hafen von Paris (Bühnenbild: Tilo Steffens) symbolisieren, sind bei Bartók die sieben Türen von Herzog Blaubarts Burg, hinter denen der Schrecken lauert. Die Idee, mit der Schauspielerin Hannah von Peinen der weiblichen Hauptfigur ein Alter Ego an die Seite zu stellen, geht dagegen nicht ganz auf, weil die Verdoppelung manche Szene schwächt. Dass das Kind (Luis Curtis), dessen Tod die Eltern bei Puccini beklagen, die traumatische Vergangenheit symbolisiert und auch bei „Herzog Blaubarts Burg“ mit dem Dreirad über die Bühne fährt, ist ein durchaus schlüssiger gemeinsamer Nenner.
Dass diese fulminante, höchsten Ansprüchen genügende Produktion zu einem packenden Musiktheaterabend wird, liegt aber auch an der musikalischen Umsetzung. In der gegenüber der Eröffnung akustisch deutlich verbesserten Theaterhalle hat das Philharmonische Orchester Freiburg unter Fabrice Bollon eine echte Sternstunde. Der Streicherklang bei Puccini ist perfekt gemischt, die vielen dramatischen Zuspitzungen sind echte Präzisionsarbeit. Obwohl das Orchester hinter den Solisten postiert ist, gelingt Fabrice Bollon eine atmosphärisch dichte und perfekt koordinierte Interpretation (Einstudierung Chor: Bernhard Moncado). Mit der ausdrucksstarken Mezzosopranistin Christina Vasileva als frustrierte, liebeshungrige Ehefrau Giorgetta und dem strahlkräftigen Tenor Adriano Graziani (Luigi) stehen zwei überragende Solisten auf der Bühne, die ihre leidenschaftliche Liebe auf dem Dach zu einer Vision werden lassen, wenn sie trotz des vollen Tuttiklangs mühelos über dem Orchester liegen. Der intonatorisch nicht immer ganz sichere Juan Orozco (Michele) ist in seinem hellen Anzug (Kostüme: Marc Weeger) ein düsterer Mafiapate, der sich für einen Moment von seiner zerbrechlichen Seite zeigt, eher er in einer starken Schluss-Szene Luigi mit bloßen Händen erwürgt.
Zu Beginn von „Herzog Blaubarts Burg“ wird Luigis Leiche abtransportiert, bevor sich ein düsteres Kammerspiel entspinnt. Die beängstigend präsente Ungarin Viktoria Mester (mit großem, perfekt geführten Mezzosopran) macht aus Judith eine selbstbewusste Frau, die in diesem Psychothriller zunächst die Oberhand behält, bevor nach und nach Herzog Blaubart (ihr Landsmann Levente Molnár singt ihn mit geschmeidigen Bariton und dunklen Farben) dominanter wird. Regisseur Jörg Behr führt dieses ungleiche Paar mit traumwandlerischer Sicherheit durch die seelischen Abgründe. Der einsetzende Regen, der auf das Hallendach prasselt, wird zum spontanen Gefühlsverstärker. Auch bei Bartók liefert das Philharmonische Orchester Freiburg alle Extreme und Zwischentöne – und trägt die Sänger auf Händen. Nachdem Blaubart Judith wie seine früheren Ehefrauen umgebracht hat, möchte er mit dem Auto fliehen – aber der Wagen springt nicht an. Der Mann bleibt gefangen in seiner Schuld.