Foto: Szene aus „Der Reichskanzler von Atlantis” © Martin Kaufhold
Text:Christian Muggenthaler, am 14. Oktober 2019
Wenn eine/r nur narrisch ist, dann ist das schlimm. Wenn aber der Irrsinn sich mit einem in sich geschlossenen, ideologischen Wahngebilde verbindet, dann ist sofort Gefahr im Verzug. Denn diese Denksysteme mit ihren unzerstörbaren Argumentationsketten, die sich von allen Eindrücken der Wirklichkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit abschotten und alles, was ihnen objektiv widerspricht, zu List und Lüge des Gegners erklären, widerstehen allen Angeboten vernünftiger Kommunikation. Das gilt nicht zuletzt für die paranoiden Welten ultrarechter Sektierer, die sich an einem herbeiphantasierten permanenten Bedrohtheitsszenario scharfwetzen, das es so zwar nicht geben kann, weil es nie nur Schwarz und Weiß gibt, was aber im roten Daueralarmzustand dieser Geisteshaltung überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Dass das keine Behauptungen sind, zeigt der bloße Blick auf die Selbstauskünfte jener Leute und historische Parallelen, bei denen dies alles ebenfalls schon vorkam. Der Autor Björn SC Deigner hat in seinem Stück „Der Reichskanzler von Atlantis” jetzt solche Fundstellen hergenommen und eine Bühnenhandlung daraus gemacht, die sich daranmacht, sich vorzustellen, wie es denn bei Reichsbürgers zu Hause aussieht. Das ist dann zu Beginn auch ganz lustig, wenn der selbsternannte Reichskanzler Burkhard im Bademantel auf dem Dach seines Reichs steht und nach Feinden Ausschau hält, mit seinem Reichsinnenminister nach dem Verfassen einer Neujahrsansprache im üblichen Sermon Apfelkuchen von Gattin Jutta mümmelt. Altdeutschen, natürlich.
Nicht mehr komisch ist es dann, wenn beide wahnhaft nach der von rechten Kreisen herbeiphantasierten Figur des „Henoch Kohn” suchen und eine Bankangestellte das Pech hat, ins Haus zu geraten und als „Ewiger Jude” in Gefangenschaft zu geraten: Dann wird’s – leider sehr aktuell – sehr brutal. Weil an diesem Punkt die Paranoia in Gewalt umschlägt. Deigner hat sehr gut recherchiert, lässt auch jene völlig durchgeknallten Geschichtklitterer aus der Zeit während der Weimarer Republik von der Thule-Gesellschaft bis zu Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler wiederauferstehen, vor allem in Form von Thule-Gründer Rudolf von Sebottendorf und seinem Gespinst von Germanentum und „jüdischer Weltverschwörung”, einem Sebottendorf, der als Geist durchs Stück wandelt.
In Bamberg nun zeigt Regisseurin Brit Bartkowiak sehr schön die Dynamik, die im Text steckt. Wenn in den Haaren von Frau Jutta mystischer germanischer Geist hängt, von dem sich ihr Reichskanzler-Mann nährt, dann ist das erst mal komisch, ähnlich wie die kleinbürgerliche Gewandung dieses großen Bismarck-Nachfolgers, die ihn umgebende Gartenzwerg-Armee und ein multifunktionales Bühnenbild (Ausstattung: Nikolaus Frinke), das wie eine große altväterliche Küchen-Kommode wirkt und mit vielen Klappen und Schubladen mitspielt. Aber dazwischen und dahinter herrscht ein Grauen kleinbürgerlicher Wahnvorstellungen, dessen Steigerung die Inszenierung beängstigend vor Augen stellt. Ganz schön krass, das alles. Das Stück ist dazu bestimmt, an anderen Häusern gezeigt zu werden.
Die Darsteller hängen sich rein in diesen Irrsinn, der den Figuren über den Kopf wächst: Oliver Niemeier als beständig überforderter Reichskanzler von eigenen Gnaden, Katharina Brenner als dessen Frau Jutta, die die Normalität des Unnormalen bis zur Blutrunst ausweitet, Paul Maximilian Pira als Geisterschatten, Florian Walter als ebenso gemütlicher wie gnadenloser Antisemit und Marie-Paulina Schendel als Frau Semmerling, die fatal in dieses Deutsche Reich im Kleinstformat gerät. Sie fordert Rechenschaft, weil man bei Reichsbürgers schlicht über die Verhältisse gelebt hat. Aber derlei offene Forderungen sind ja nur: jüdische Weltverschwörung. Das Leben kann so einfach sein.