"FAM": Amy Josh und Tijana Prendovic

Geballte Weiblichkeit

Eléonore Valère Lachky/Adrienn Hód/Cecilia Moisio: FAM – Frauen zu zweit

Theater:Staatstheater Mainz, Premiere:14.09.2016

Frauen hauchen, brüllen, juchzen, sie sagen „yes, yes, yes“ oder tanzen Tango und fingieren Kämpfe. Drei Duette, nur Frauen, alles neu: Honne Dohrmann, Direktor der Kompanie tanzmainz am Staatstheater in Mainz, hatte in der vorigen Spielzeit den Männerabend „HOM“ angesetzt, den drei Nachwuchschoreographen von außerhalb mit je zwei Tänzern der Kompanie bestritten, teils akrobatisch-sportiv mit Humor, teil sensibel reduziert. Jetzt folgte das weibliche Pendant „FAM“, für das er wieder das europäische Freie-Szene-Auftrittsnetzwerk Aerowaves anzapfte und sich drei Choreographinnen herauspickte. So unterschiedlich die Kreationen wurden, so ähneln sie sich dennoch darin, dass sie nicht einfach zwei Leute bewegen, sondern explizit Frauen. Thematisch. Obwohl Dohrmanns Vorgabe rein technisch war: zwanzig Minuten Länge, zwanzig Probentage, zehn Scheinwerfer, die niedrige kleine Bühne im sogenannten Glashaus auf dem Dach des Staatstheaters und eine Ausstattung, die in einen Koffer, Größe Handgepäck, passen sollte.

Diese Handlichkeit überschreitet das dritte Stück, „OMGYES“, der Finnin Cecilia Moisio allerdings. Die knallroten Ball- oder Brautkleider, in denen die Tänzerinnen erscheinen, sind recht ausladend zum einladend gesprochenen und wie eine Aufwärmübung wiederholten „yes, yes, yes“. Das Outfit wird dann knapper, hautenge Bodys zur munteren Gymnastik, Strecken, Beugen, Arme, Beine, Kopf und Rumpf, Becken raus und kreisen und heben; zuletzt Unterwäsche mit aufgestickten Reproduktionsorganen. Die Leibesübungen bekommen nun andere Namen verpasst, launige Bezeichnungen von Sexstellungen, aber ins Leere repetiert. Vielleicht soll es genau um diese Leerstelle gehen, den Mann, den die Frau mit ihrem „yes, yes,“ und der Muskelertüchtigung meint. Also eine Kritik an einer solchen weiblichen Fixiertheit? Was wäre, wenn seit Eva die Frauen nicht immerzu „Ja“ gesagt hätten, sondern einfach „Nein“, wirft eine Tänzerin mal in den Raum. Tja. Dazu vor eine Minikamera schlüpfrig dargebotenes Obst. Das beste an der Performance sind Alessandra Corti und Ada Daniele, die diesen Schmuh mit einer Leichtigkeit darbieten, dass er nie peinlich oder larmoyant wird, sondern Spiel bleibt. Darin entdeckt man, ob intendiert oder nicht, eine überzeugende, nicht nur unterleibsmäßige Selbstbestimmheit.

Feige

In den „Red acts“ (Rote Akte) der Französin Eléonore Valère Lachky sieht man leider zwei Tänzerinnen, die sich Mühe geben, Amy Josh und Tijana Prendovic, die aber den vier angesagten „Akten“ zu wechselnder Pop- und Showmusik nicht viel abgewinnen. Das liegt wohl an der bemühten Choreographie aus Versatzstücken. Wozu die Zitate, mit pferdchenhaft gehobenen Knien, wackelnden Köpfen, Hinternwackeln aus den 1940er-Musical-Jahren? Elegantes Beinespreizen auf dem Boden? Pseudo-spanisches Torerotanzen mit triumphal erhobenen Armen? Bäuchlings am Boden kleben? Immerhin spricht aus dem präzisen Händefuchteln, Wischen, Schieben, Spreizen, Schließen, das die beiden ohne Berühren zwischen sich ausfechten, ein gewisser Witz. Von wem auch immer die Sequenz geklaut ist.

An ein tieferes höheres Wesen glauben

Den wirklichen Triumph des Abends feiern Mariya Bushuyeva und Bojana Mitrovic mit „Beliefs“ (Glauben, plural) der Ungarin Adrienn Hód. Denn die Choreographin scheint sie frei zu lassen (die Tänzerinnen, die Ansichten) – innerhalb gewisser Vorgaben zum Ablauf. Schon der erste stumme Spaziergang auf der Bühne füllt das ganze hitzeglühende Glashaus, und die Tänzerinnen lassen die gespannte Aufmerksamkeit des Publikums hinfort nicht mehr von der Leine. Und zwar jenseits aller Klischees, oder sie tippen sie nur mal kurz an, wischen sie weg wie Flecken. Wie schnell hätte das kippen können ins Alberne: Geräusche. Die Tänzerinnen holen Töne aus und mit dem Atem, aus dem Innern, aus der Bewegung, oder die Bewegung folgt den Tönen, später konterkariert sie ihnen, den räuspernden, röhrenden, knarrenden, brummenden, quäkenden, fiepsenden, schreienden, lachenden, heulenden. Lauten und leisen, langsamen und schnellen, spitzen und runden. Die Ellbogen, Köpfe, Hände, Beine schütteln und schwenken und knicken und trippeln, hauen, wischen, rotieren. Plötzlich ein stummer Blick wie ein Ruf, dann Blinzeln. Zum Gebrüll bei geschlossenem Mund wird der Körper disziplinierter, gerader, ordentlicher, die Handgelenke werden höfisch gekreuzt, die Knie züchtig eng gestellt, die Tänzerinnen synchronisiert. Aber nicht lange. Das bin alles Ich, und das sind manchmal Wir, scheinen die „Beliefs“ zu sagen, so unglaublich vielstimmig und auf rasant-fröhliche Weise wechselhaft, dass man als Zuschauerin nur so staunt. Wie reich, wie unerschöpflich und schön ist dieses Chaos. Juhuu!