Foto: "Hört Hört!" von Suse Wächter beim Kunstfest Weimar © Suse Wächter
Text:Roland H. Dippel, am 29. August 2018
Suse Wächter zeigt ihre Uraufführung „Hört Hört!“ beim Kunstfest Weimar
Für den Weimarer Abgeordneten Dr. Emil Herfurth ist ganz klar, was zur deutschen Kultur gehört: Vor allem das „Große, auf dessen Schultern man stehen muss“, also „Hermann der Cherusker, die Loreley, Siegfried, der Rhein!“ Und zum Schutz vor der bösen neuen Kunst, die mit Sex, Alkohol und Drogen als vierblättriges Kleeblatt die Krankheit der Moderne ist, nimmt der Kleinwüchsige aus der Gartenkolonie sich gleich eine Therapiestunde bei Sigmund Freud. Auch der hat nach dem Versuch, ein Bild von Paul Klee zu imitieren, vermehrt Lust auf Alkohol und „echtes Leben“.
In Suse Wächters und Janek Müllers Konzeption kehrt die Puppenmacherin aus Thüringen zu ihren Wurzeln zurück. Bei Christians Holtzhauers letztem Kunstfest Weimar geht es, dem Jubiläumsjahr der Bauhaus-Ansiedelung 1919 in Weimar leicht vorgreifend, um die bis zum Umzug der Künstler-Ausbildungs- und -Werkstätten 1925 nach Dessau unüberbrückbar werdenden Konflikte mit der Goethestadt.
„Hört, hört!“ lautet der antrainierte Zwischenruf, mit dem die Zuschauer unter leichtem Druck des Conferenciers in die Rolle von Sitzungsteilnehmern bei den Bauhaus-Verhandlungen gepresst werden. Die umfangreiche Textsammlung aus den Protokollen im Landesarchiv Thüringen sind der geistreich erweiterte Stücktext. Das Publikum betritt im E-Werk ein von Constanze Kümmel als heitere arkadische Ruinenlandschaft dekoriertes Studio. Doch das Spielgeschehen ist fern von „edler Einfalt und stiller Größe“, sondern ein aggressives Satyrspiel: Himmelblau leuchten die mit Folien ausgeschlagenen Wände. Man sitzt bequem auf Säulenkapitellen, -sockeln und -steinen. Der harte Tobak der Themen wird übermäntelt von flockigem Entertainment. Später erbosen und erhitzen sich Gemüter und Geister.
Suse Wächter nützt alle Genreformate der visuellen Medien: Interview, Debatte, inszenierte Publikumsreaktionen und Zwischenrufe, Talkshow, Präsentation, Rollenspiel. Den „großen Streit von Weimar“ löst sie auf in kleine Szene-Zellen und macht sich mit den Puppenspielerinnen Ulrike Langenbein und Veronika Thieme die gängigen performativen Kommunikationsmuster zunutze. Als Conferencier und als Bauhaus-Gründer Martin Gropius wirkt Pascal Lalo einnehmend, kompetent und in seiner Lauterkeit eher wenig durchsetzungsstark. Sachiko Hara zelebriert als Dichterin Else Lasker-Schüler ein japanisches Teeritual, ihr gleiten Blütenkelche reiner Poesie von den Lippen. Ironiefrei. Unwillkürlich wünscht man sich da etwas von dem liebevollen Sarkasmus, mit dem Florian Illies in seiner Roman-Collage „1913“ epochale Persönlichkeiten, die auch mit dem Bauhaus in Verbindung standen, charakterisierte.
Die Puppen haben weitaus mehr Biss als die menschlichen Darsteller. Später versteht man das als Prinzip: Der Abend beginnt objektivierend. Dann zieht er eine sich mit Aggressionen aufladende Trennlinie zwischen dem progressiven Bauhaus und dem reaktionären Lager der Weimarer Zivilgesellschaft. Stehen die Puppen für angstbesetzte ideologische Bedrohungen? Immerhin gibt Suse Wächter im ersten Auftritt Henry Ford eine Stimme und deutet so eine Analogie zwischen der Motorisierung des frühen 20. Jahrhunderts und dem Turbokapitalismus hundert Jahre später an.
Einmal mehr ist es faszinierend, wie Suse Wächter und ihre großen Puppen verschmelzen, sie diesen mit Händen und Sprache ein kraftvoll einschüchterndes Leben gibt. Der deutschnationale Wortführer und Bauhaus-Gegner Emil Herfurth wird von einer realen Figur zu einer spießigen Dreifaltigkeit von Gartenzwergen. Diese legen sich nicht nur gemeinsam bei Sigmund Freud auf die Couch, sondern vereinbaren vor den Versammlungsansprachen zielorientiert, wer auf die rhetorische Tränendrüse drückt, wer mit gehärteten Fakten das Auditorium weichklopft und wer schließlich mit vernichtenden Beschuldigungen auftrumpft. Wichtelmanns Wachparade, ein Alptraum!
Der Kick ins Heute ist Vorsatz. Suse Wächter und ihre Mitspieler zeigen, wie die Konfliktmuster zwischen der Sehnsucht nach einer deutlich abgrenzbaren kulturellen Identität und einer hinterfragenden Haltung funktionieren. Und sie verdeutlicht, wie man aus differenzierten und damit anfechtbaren Denkgebäuden halbe Wahrheiten generiert. Ihre Puppen haben ein sehr aktives Bühnenleben. Eigentlich fehlt nur, dass der Vater der Psychoanalyse am Brillenbügel nuckelt, wenn er ein Geisterhaus und dessen Öffnungen als Symbol für einen Frauenkörper definiert…
Musik gibt es auch: Vincent Hammel drumt und trompetet sich genre-affin durch den um eine Spur zu langen Abend, der Foxy Chor Weimar singt und skandiert alle „-ismen“, mit denen sich das frühe 20. Jahrhundert zwischen Impressionismus und Expressionismus diversifizierte. Man muss nicht erwähnen, dass man diese Aufzählung ohne weiteres um Algorithmus und Multikulturalismus erweitern kann.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Kunstfest Weimar unliebsame Themenränder der Klassikerstadt ansteuert. Schon die Erschließung von baulichen Relikten der sozialistischen Vergangenheit in einem Parcours 2017 beeindruckte enorm. Die Ausstellung „Wie das Bauhaus nach Weimar kam“ in der ehemaligen Dorfner-Werkstatt und in der ACC Galerie, Rebstock & Compagnons`musikalische Spurensuche „Mit Nietzsche auf Sendung“ im ehemaligen Funkhaus und Suse Wächters „Hört, hört!“ kann man als eigenen Zyklus im Kunstfest Weimar 2018 betrachten. Dieser sendet starke Zeichen an das im Ausbau stehende Quartier Weimarer Moderne. Der schon in einer Ausstellung des Neuen Museums 2014 beschworene „Krieg der Geister“ ist nach den Ausschreitungen beim Chemnitzer Stadtfest aktueller denn je. Suse Wächter und ihre Puppen haben in „Hört, hört!“ beeindruckende Stärke, weil sie nicht nur die Kontrapositionen, sondern auch Strategien der manipulierenden Argumentation thematisieren. Schön ist das alles aber nicht.