"Das Fräulein von S." - Szene mit dem Ensemble des Stuttgarter Balletts.

Funkelnde Juwelen-Tänze

Christian Spuck: Das Fräuleins von S.,

Theater:Staatstheater Stuttgart, Premiere:10.02.2012 (UA)Musikalische Leitung:James Tuggle

Das mancherorts totgesagte Handlungsballett lebt, in Stuttgart allemal. Freilich verpasst Christian Spuck dem Traditions-Genre ein überraschendes Format, verzichtet auf lineare Erzählstrukturen und fügt tänzerische Abstraktionen hinzu. Sein neuer Dreiakter nach E.T.A.Hoffmanns Kriminal-Novelle „Das Fräulein von Scuderi“, das in Stuttgarts Oper eine begeistert gefeierte Uraufführung erlebte, setzt die nachtdunkle Rätselhaftigkeit der Literaturvorlage – unterstützt von einer Musik-Collage aus Kompositionen von Schumann, Glass, Torke und Donner (das Staatsorchester Stuttgart leitet James Tuggle) – auf wundersame Weise tänzerisch um: Modern und romantisch zugleich.

Da ist im ersten Akt der „Juwelentanz“ des Pariser Goldschmieds Cardillac, der von seinen kostbaren Geschmeiden nicht lassen kann und seine Auftraggeber, die Höflinge des Sonnenkönigs Ludwig 14., ermordet, bevor die ihren Mätressen den Liebeslohn übereignen können. So gelangt der Schmuckkünstler wieder in den Besitz seiner magischen Preziosen. Bis er selbst einem Mordanschlag erliegt. In Glasvitrinen werden Diamant, Rubin, Saphir und Smaragd, respektive die in ihren Steinfarben glitzernden, mit steifen Teller-Tutus ausstaffierten Ballerinen Alicia Amatriain, Anna Osadcenko, Myriam Simon und Angelina Zuccarini in feierlicher Prozession auf die Bühne getragen. Cardillac (Marijn Rademaker) haucht ihnen mit wild flatternden schwarzen Rockschößen der Reihe nach Leben ein und verhilft den Schönen in eckigen Paartänzen und einer verspielt virtuosen, vielfach verfremdeten klassischen Bewegungssprache zu funkelndem Glanz. Genau wie Hoffmanns Originaltext verlautbart: „Innig vertraut mit der Natur der Edelsteine, wusste er sie auf eine Art zu behandeln und zu fassen, dass der Schmuck aus seiner Werkstatt hervorging in glänzender Pracht.“

Den 2.Akt widmet Spuck der altersweisen Hofdichterin Madeleine de Scuderi, die schon Hoffmann in den Mittelpunkt seiner Erzählung rückte. Mit unterkühlt statuarischer Grandeur schreitet sie in einer Krinolinen-Robe aus schwarzem Moiré mit Riesenschleppe, die fast die gesamte Tanzfläche ausfüllt, über die Ballettbühne. Eine Hommage für Grande Dame Marcia Haydée, die als Gast die Rolle imposant verkörpert. Und auch für ihre Doppelgängerin en miniature, die kleinwüchsige französische Schauspielerin Mireille Mossé, die als epische Spielleiterin „S.“ fungiert und berichtend Elemente der Handlung wie in einem analytischen Drama retrospektiv zusammenfügt. Sie bürgt mit ausdrucksstarkem Gestus des Zeigens für einen Hauch von Comédie-Francaise. Vor allem aber fesseln in diesem Akt die balletteusen Variationen des im Hoffmann-Text dreimal zitierten berühmten Scuderi-Satzes „Un amant qui craint les voleurs n’est point digne d’amour“ (Ein Liebhaber, der die Diebe fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.) Spuck formt daraus herrliche Auftritte seiner Protagonisten. In deren Zentrum agieren Olivier (William Moore), des Goldschmieds Geselle, der unschuldig als „Juwelenmörder“ verdächtigt und verhaftet wird, und Madelon (Katja Wünsche), des Goldschmieds Tochter. Beider Liebes-Pas de deux entfaltet Leidenschaft und Verzweiflung in einer Fülle kunstvoll verbundener Figurationen.

Nicht zu vergessen die elegant ausgetanzten Ensembles, die im ersten Akt vor Versailler Schloss-Kulisse an die aristokratische Herkunft des Balletts erinnern, und von „S.“ kommentiert immer wieder in erstarrten Bilderbuch-Posen innehalten. Im letzten Akt präsentieren sich vor den Flügeln einer mitten auf der Bühne platzierten Drehtür-Skulptur gleißend barocke Kostümparaden und allerhand Gruppen-Szenen. Zu triumphalem Orchester-Sound und rasant gesteigertem Tempo verdichten sich schließlich alle Aktionen in einem höfischen Gesellschaftstableau, das mit hofnärrischem Gelächter der „S.“ abbricht.

Mit dieser Großtat verlässt Christian Spuck das Stuttgarter Ballett, dem er zuletzt als Hauschoreograf diente, um in Zürich die Ballettdirektoren-Position einzunehmen. Insofern ist der vorgelegte Bericht eine Verlustanzeige.