Fürther Bagaasch Die Physiker Werner Müller

Das Böse ist immer und überall?

Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker

Theater:Fürther Bagaasch, Premiere:25.07.2024Regie:Werner Müller

Die Ensemblebühne Fürther Bagaasch zeigt in leicht modernisierter Version Dürrenmatts „Die Physiker“. Regisseur Werner Müller beginnt die Jagd nach der Weltformel dialoglastig, steigert die Inszenierung aber in eine James Bond ähnliche Hommage.

Im mittelfränkischen Sprachraum steht das Substantiv Bagaasch für eine Menschengruppe mit eindeutig abwertender Konnotation. „Su a Bagaasch“ sagt der Franke für eine lärmende Kinderschar oder auch für eine Ansammlung von Personen mit ausländischer Herkunft. Die „Fürther Bagaasch-Ensemblebühne“ ist ein freies, unabhängiges Theater, das sich in den letzten 21 Jahren ein großes Renommee weit über die Stadtgrenzen hinaus erworben hat. Die ambitionierte Kultur-Truppe wurde 2001 von Ute (2021 verstorben) und Uwe Weiherer ins Leben gerufen. Seit 2014 richtet sie auf der Piazza am Kulturforum Fürth eine jährlich wiederkehrende Open-Air-Sommerproduktion ein, die heuer unter der Regie von Werner Müller, dem langjährigen Intendanten des Fürther Stadttheaters, Dürrenmatts modernen Klassiker aus den frühen 1960er Jahren präsentiert.

Es ist unverkennbar, dass das Stück „Die Physiker“ ein Produkt des Kalten Krieges war, in dem mit den Mitteln der Groteske die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, aber auch nach den Gefahren einer skrupellosen Machtpolitik gestellt wird. Der reflektierende Physiker Johann Wilhelm Möbius und die Irrenärztin Mathilde von Zahnd verkörpern diese beiden Grundfragen. Damals stand die Welt in der Kuba-Krise am Rande einer atomaren Selbstauslöschung, doch auch gut sechzig Jahre später ist das Thema nach diversen AKW-Havarien und nach Putins Drohungen mit taktischen Atomwaffen noch aktuell.

Modernisierung des Originals

Im etwas schmucklosen Pflasterstrand des Innenhofs des Fürther Kulturforums hat Werner Müller die Komödie in zwei Akten aus Ehrfurcht vor dem Original nur behutsam modernisiert. Die Inszenierung startet etwas zäh als eine Art „Tatort Zürich“ mit nüchternem Dialog-Theater, das im 1. Akt durchaus noch ein paar Sprizzer Leichtigkeit und Komik verdient hätte. Es endet aber nach der Pause deutlich lebhafter als Hommage an das Genre der James-Bond-Filme.

Das Ensemble des Fürther Bagaasch auf der Bühne bei „Die Physiker“. Foto: Thomas Langer/Kulturforum Fürth

Am Anfang schlurft Inspektor Voß (Jörg Scheiring) mit Colombo-Trenchcoat auf die Szene, um den zweiten Mord an einer Krankenschwester im Irrenhaus „Les Cerisiers“ zu ermitteln. Am Ende sitzt Mathilde von Zahnd (Rike Frohberger: ganz und gar nicht die bucklige alte Jungfrau!) im maskenhaften Stil des Bond-Bösewichts Ernst Stavro Blofeld mit weißer Perserkatze im Designer-Sessel und spricht die triumphierenden Worte: „Mein Trust wird herrschen … Die Rechnung ist aufgegangen“. Demnächst könnte sie in der Nervenklinik wohl noch eine Abteilung für IT- und KI-Experten errichten. An ihrer Seite der neu eingestellte Pfleger Sievers (Kianusch Mohamadekian), der als krakeelende Kendo-Kämpfer für Angst und Schrecken sorgt.

Die Weltformel

Dazwischen erlebt man die pointierten Wort- und Mord-Gefechte der beiden eingeschleusten West-Ost-Agenten Kilton (Tim Sokollek) und Eisler (Ulrike Gradl): der eine mit Newton-Perücke und Freiheits-Ideologie, der (oder die?) andere mit Einstein-Zunge und köstlicher Marx-Brothers-Persiflage. Beide wollen sich die geniale Weltformel von J. W. Möbius sichern, den Uwe Weiherer mit salomonischer Abgeklärtheit, mit Weltschmerz a la King Lear, mit gehörigem Selbstzweifel und mit einer Prise „Spiel mir das Lied vom Tod“ interpretiert. Die eigene Frau (Karin Schubert) ist ihm mit einem Missionar davongelaufen, und die Liebe der Krankenschwester Monika (Varvara Imas) darf er nicht erwidern. Fast wie ein Deutschlehrer erklärt er den enttarnten Agenten an der Schiefertafel die Gefahren von schrankenloser Wissenschafts-Freiheit und machiavellistischer Machtpolitik. Für ihn steht fest: Erkenntnis kann tödlich sein, nur im Irrenhaus ist er noch frei – ein naiver Irrtum, wie sich schließlich herausstellt.

Auf den Polstermöbeln im Bühnenraum sitzt es sich wahrscheinlich bequemer als auf den eng gruppierten Klappstühlen der Zuschauertribüne, dennoch war das Publikum der ausverkauften Premiere sehr amüsiert. Weitere Vorstellungen finden am 26., 27. und 28., Juli sowie am 1.- 4. August statt.