Foto: Dramaturg Tim Sandweg und Puppenspielerin Susanne Søgaard erklären die Welt des Figurentheaters in "Früher war mehr Puppe" am Puppentheater Magdeburg. © Puppentheater Magdeburg
Text:Ulrike Lehmann, am 29. Juni 2011
Soll noch mal einer sagen, Dramaturgen seien bühnenuntaugliche, vergeistigte Wesen. Was der gerade mal 24-jährige Tim Sandweg (seit zwei Spielzeiten Dramaturg am Puppentheater Magdeburg) gemeinsam mit der Puppenspielerin Susanne Søgaard hier auf die Kleine Bühne des Puppentheaters Magdeburg gebracht hat, schreit nach großem Publikum. Diese „Erklärshow über das Figurentheater“ ist als heitere, songgespickte Lecture-Peformance mit Fotos, Vorträgen und Puppenspiel-Intermezzi ein dankbares Format. Wenn das Ganze dann so rasant, klug dosiert und vor allem witzig daherkommt, kann man der Figurentheaterszene nur wünschen, dieser Abend möge herumkommen und Neugier auf das Genre streuen.
Die berechtigte Frage, was der heutige Theatergänger eigentlich unter dem Begriff „Puppentheater“ versteht, wird mittels einer Collage aus Zuschauerzitaten in den dunklen Stückbeginn geworfen: „Wann gibt’s denn mal wieder was mit _richtigen_ Puppen?/Wieso sieht man denn heutzutage immer die Spieler mit auf der Bühne?/Ich wollte meinem Sohn eine klassische Inszenierung zeigen, aber nach dem modernen Zeug, war er ganz verstört. …“ Man lacht, nickt verständig – und verlesene Definitionen aus Brockhaus und Meyers Lexikon zeigen: nicht mal über die Begriffe Puppen-, Figuren- oder Objekttheater herrscht Einigkeit. Folglich muss grundlegend aufgeräumt werden, am besten in einem dreigliedrigen Vortrag mit wissenschaftlichem Touch: 1. Theorie, 2. Historie, 3. Praxis.
Erika Fischer-Lichtes Theaterformel „A spielt B und C schaut zu“ lässt sich, so lernen wir, mühelos aufs Figurentheater anwenden: „A animiert M, stellt so B dar und C schaut zu“. So, weit, so logisch. Wir lernen weiter (Praxisbeispiele inklusive), was alles animierbar ist: Maske, Stabpuppe, Marionette, Stockpuppe, Fingerpuppe, Flachfigur, Papierfigur, Tischpuppe, Gliederpuppe, ja auch Barbie und Playmobil! Und wir eilen durch die Historie des Puppentheaters: Von Tattermännern in mittelalterlichen Handschriften, dem Harlekin der Commedia dell’arte, dem Kasperl des in München gegründeten ersten deutschen Puppentheaters (der als lustige Kinderfigur vorrangig pädagogischem Zweck diente), zu Schattenspiel, Filmscherenschnitten und dem proletarischen Kasperle-Theater der kommunistischen Propaganda („Kasperle muss ein Arbeiterjunge sein, der den Kapitalisten eins auswischt!“). Klar: auch Goebbels’ Propagandaministerium war ein „Reichsinstitut für Puppenspiel“ unterstellt, zur Moralhebung der Soldaten nützte das Spiel allemal.
Bis in die heutige deutsche Figurentheaterlandschaft führt uns Tim Sandweg in weißem Kittel und dozierendem Plauderton, während „seine“ Puppenspielerin atemlos Figuren aus Kisten kramt, spielt, singt, tanzt, aufräumt. Ihre finale Vorstellung von „Schneewittchen“ (Praxisbeispiel!) macht dann das Wunder der vielfältigen Objektbelebung greifbar: Susanne Søgaard führt eine liebevoll-zerzauste Schneewittchen-Marionette, spielt selbst (mit giftgrüner Perücke) eine herrlich garstige Stiefmutter und präsentiert die sieben Zwerge als kleine rollende Tischpuppen. Köstlich. Prädikat: Besonders wertvoll.