Foto: Szene aus Henzes "Elegie für junge Liebende" © Kaufhold
Text:Stefan Schickhaus, am 2. Mai 2014
Kritik zu Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden
Dieser Mann geht im Namen der Kunst über Leichen. Nein, nicht Uwe Eric Laufenberg ist damit gemeint, auch wenn sich gegen den designierten Intendanten des Staatstheaters Wiesbaden die Stimmung in der hessischen Landeshauptstadt in diese Richtung entwickelt hat. Die beiden Leiter des Jungen Staatstheaters entlassen, das komplette Sängerensemble auflösen und kein neues bilden wollen, dem Ballett die Eigenständigkeit nehmen – all das weckt Unmut bei jenen Wiesbadenern, die sich in den zwölf Jahren der Intendanz von Manfred Beilharz auf Verlässlichkeit verlassen haben.
Künstlerischer Leiter des besagten Balletts war in den 1950ern kurz Hans Werner Henze, und er schaute posthum noch einmal an seiner einstigen Wirkungsstätte vorbei, bevor diese ihre feste Anschrift verliert. Denn mit Henzes Oper „Elegie für junge Liebende“ wurden jetzt die Internationalen Maifestspiele eröffnet, die seit 1896 regelmäßig am Wiesbadener Staatstheater abgehalten werden. Die Festspiele hatte einst Kaiser Wilhelm II. gegründet, Wiesbaden ist also nach Bayreuth die zweitälteste deutsche Festspielstadt. 57 Veranstaltungen mit 31 Produktionen aus zwölf Ländern werden in diesem Jahr den Mai füllen, dem Komponisten und einstigen Kurz-Wahl-Wiesbadener Henze ist dabei ein Schwerpunkt gewidmet.
Dieser Mann geht im Namen der Kunst nun wirklich über Leichen: Gregor Mittenhofer ist ein Dichter und die zentrale Gestalt in der „Elegie für junge Liebende“. Man liegt ihm zu Füßen, Musen umschwirren ihn, ein Arzt und eine Sekretärin sind für ihn im Dauereinsatz. Er beutet sie alle aus, er saugt ihr Blut, er tyrannisiert. Denn er braucht Inspirationen für sein ultimatives Gedicht, eine Elegie mit dem Arbeitstitel „Die jungen Liebenden“. Und eben diese beiden – seine Ex-Muse Elisabeth und der Arzt-Sohn Toni – müssen für den skrupellosen Poeten ein Edelweiß besorgen von ganz oben, vom Hammerhorn. Sie sterben, natürlich, den Kältetod. Der Dichter ist inspiriert, die Elegie kann öffentlich rezitiert werden. Bei Henze hört man da dann „nur“ eine Vokalise, vorgetragen vom eitlen Dichter, wie in einem Madrigal akkompagniert von all seinen Opfern und Geknechteten. Ein Kunstgriff.
Es ist eine herrliche Oper voller Künstlichkeit und Komik, voll Drastik und Detailverliebtheit, die Hans Werner Henze da um 1960 geschrieben hat. In seiner etwas erweiterten Spätfassung von 1988 wurde sie nun in Wiesbaden inszeniert, und zwar von Dietrich Hilsdorf, der in der Ära Beilharz für etliche gut gelungene Provokationen im Spielplan gesorgt hat. Die „Jungen Liebenden“ jetzt zeigte Hilsdorf nicht als Irritator, vielmehr als Fachmann für genaues Timing, für präzise Charakterdarstellung und als Ausbalancierer jener Komponenten, die Henze selbst in seiner Oper sah: Farce, Tragödie, Opera buffa und Psychodrama.
Schade um dieses Hausensemble, das wird man schon einmal sagen dürfen. Diese Henze-Produktion konnte fast ausschließlich mit Bordmitteln auf die Bühne gebracht werden, alleine der französische Bariton Sébastien Soules war als Gast geladen. Er sang den Dichter Gregor mit diabolischem Charme und in nahezu perfektem Deutsch, ein kleiner Hänger im dritten Akt fiel nicht auf und ins Gewicht. Neben Bernd Hofmann als Arzt und Markus Francke als dessen Sohn Toni war es in erster Linie das Damen-Terzett aus Ute Döring (Sekretärin), Emma Pearson (Witwe Mack) und Sharon Kempton (Elisabeth), die sich hier mit einer fantastischen Leistung vom Wiesbadener Haus verabschiedeten.
Bleiben wird Zsolt Hamar als Generalsmusikdirektor, er ist ja erst seit 2012 im Amt. Bislang sah man seine Qualitäten eher im Vollorchestralen Bereich, doch mit der kammermusikalisch-offenen Henze-Partitur empfahl er sich auch für dieses Fach. Das Orchester des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, farblich unter anderem mit Singender Säge, Mandoline und Saxofon delikat besetzt, machte Henze alle Ehre. Das klang so präzise künstlich wie das, was sich oben in dem von Dieter Richter gebauten Berggasthof abspielte.