Robert (oder Bob) Merkin, die zentrale handelnde Figur in „Junk“, hat ein gut erkennbares Vorbild in der Wirklichkeit: Michael Milken, windiger Finanzstratege, der Ende der 70er die Welle von „buy-outs“ in Bewegung setzte, von Übernahmen produzierender Wirtschaftsunternehmen durch Geschäftemacher, die ausschließlich mit Geld umzugehen wussten, möglichst noch mit dem geliehenen Geld anderer Leute. 1989 flog er auf. Im Zusammenhang mit Milkens Umtrieben wuchs auch die Bedeutung des „shareholder value“, also des Wertes, den ein Unternehmen im Portfolio der Anteilseigners oder Aktionärs ausmacht. Ob zum Beispiel eine altmodische Stahlfirma noch Geld verdient mit dem ursprünglichen Produkt oder ob sie sich längst so weit auf fremdes Terrain vorgewagt hat, dass die ursprüngliche Geschäftsidee zum Klotz am Bein zu verkommen droht, und was all das für die Beschäftigten bedeutet – das interessiert den Aktionär, den „Shareholder“, tendenziell eher nicht. Er will nur wissen, wie groß die Rendite ist, die der eigene Anteil abwirft. Egal wie und mit welchen Mitteln.
Die Firma, die Ayad Akhtar für „Junk“ entworfen hat, dieses Schlachtengemälde wie für den Wirtschaftsteil der Zeitung, produzierte ehedem Stahl – und nur Stahl. Schon der Vater des Patriarchen Thomas Everson hatte allerdings begonnen, die Produktpalette zu erweitern und seinerseits in die Pharma-Produktion investiert. Dort macht Everson nun Gewinn, beim Stahl nur Verlust. Befeuert vom Geld-Jongleur Merkin, blaugepaust aus Milkens Karriere, wird Everson zum Ziel einer „feindlichen Übernahme“ durch die Firma von Israel Peterman. Die interessiert sich weder für Stahl noch für Medikamente; Peterman hat Geld verdient in der Unterhaltungsindustrie. Und mit Bowlingkugeln.
Merkins zentraler Trick funktioniert so: Er organisiert für die Übernahme Kredite ohne Ende und sichert sie ab mit möglichen Gewinnen der Firma, die er doch erst übernehmen lassen will. Und er treibt mit Hilfe noch windigerer Aktienhändler die Kurse rauf und runter – so lange, bis zum Schluss die „Shareholder“ der Stahlschmiede bereit sind, die Aktien an den feindlichen Übernehmer zu veräußern.
Akhtar (der mal mitgespielt hat in einem Film über solch miese Geschäfte) verwendet viel Energie auf die möglichst detailgetreue Abbildung des kompletten Prozesses; und legt damit den Kern, die Spur des Scheiterns. Denn ziemlich bald spielt das Theater nicht mehr mit – sobald nämlich nur noch schwer erträgliche Karikaturen die Szene bevölkern. Speziell das Personal rund um den Finanz-Gangster Merkin spottet jeder Beschreibung – wahrscheinlich schon im Text, erst recht aber in Glogers Inszenierung, die diese Spiel-Hüllen fatalerweise (und ziemlich verzweifelt) aufzumöbeln versucht – auf Deubelkommraus.
Ähnliches gilt aber auch bei den vielen Anwalts-Partien für Angriff und Verteidigung, erst recht bei den Frauen, fahrigen Einsprengseln in diesem durchweg maskulinen Tableau: etwa der Bilanz-Strategin hinter Merkin oder der Journalistin, die am Enthüllungsbuch über die Affäre arbeitet und sich zum bösen Ende schmieren, besser: kaufen lässt von Merkins Anwälten. Auch ein Politiker mischt mit, einst ein scharfer Staatsanwalt für Wirtschaftskriminalität, später (als er Bürgermeister werden will) gern bereit, Merkin einen Deal zu bieten – überschaubare Strafzahlung und ein bisschen Knast gegen Freistellung des Gesamtvermögens. So herrscht Ruhe vor der Wahl, und die Presse rühmt die Schlagkraft des Politikers. Keiner also, der nicht auf irgendeine Art verkommen wäre – in einem verkommenen Land. Aber: „This is not America“ lässt Gloger David Bowie singen.
Gloger gibt der Story zunächst viel Tempo – wenn alle in Reihe auf der Bühne sitzen und per Licht-Segment zu handelnden Figuren werden. Recht lange geht das gut. Nicht auszudenken, wenn die Regie es bei diesem Bild belassen hätte – aber dann wird offen vor Marie Roths bühnenfüllender Wand gespielt, die später nach hinten umkippt und zwar vor allem, um Alt-Unternehmer Everson zu ermöglichen, nach hinten in den Tod zu springen. Dann flattern die Manuskriptseiten der Enthüllerin, schön anzusehen, von dieser Wand herab. Aber hier ist auch die Fabel längst zerflattert, außerhalb der strengen Form vom Beginn und im Gewimmel der teilweise ziemlich belanglosen Figuren, die ziemlich viel Gefälle im Schauspielhaus-Ensemble sichtbar werden lassen. Nur Samuel Weiss (als aasiger Merkin) und Ernst Stötzner (als wunderbar weltfremder Alt-Unternehmer Everson) bleiben in Erinnerung; schon kaum noch Götz Schubert als „Weißer Ritter“ (also möglicher Retter für die Stahlfirma), dem Akhtar perfiderweise den offenen Rassismus den aktuellen Amerika in den Mund legt. Ganz schwer tut sich die Inszenierung übrigens mit den betont jüdischen Charakteren des Stückes…
Taugt also Wirtschaft im Grunde nicht für die Bühne? Gemach – immerhin gibt es Vorbilder von Belang: „Hanglage Meerblick“ von David Mamet etwa, ein Stück, das witzigerweise da anfängt, wo Akhtar jetzt aufhört: am Beginn einer Immobilienkrise. Oder „In the Company of men“, die „Männergesellschaft“ von Edward Bond – das aber sind Theatertexte, die bewusst einen einzelnen „Fall“ bebildern wollen, wie beispielhaft auch immer das gemeint sein mag für all den „Junk“, den politischen Müll, der derzeit in Amerika regiert. So sonderbar das klingen mag: Akhtar wollte in die allgemeingültige Tiefe gehen – und bleibt doch nur an der Oberfläche.