Foto: "Nussknacker und Mausekönig" am Theater Pforzheim © Sabine Haymann
Text:Eckehard Uhlig, am 27. Januar 2014
Was macht ein bekennender Tanz-Avantgardist wie James Sutherland aus einem traditionellen Weihnachts-Ballett? Wie präsentiert sich sein „Nussknacker und Mausekönig“ faschings-zeitnah den im Schnitt ziemlich jungen ballettomanen Fans im Pforzheimer Stadttheater?
Jedenfalls bleibt Peter Tschaikowskys Musik von der Badischen Philharmonie unter Leitung Tobias Lepperts respektabel dargeboten und in ihrer tänzerisch blühenden Vielfalt für die Ballett-Akteure rhythmisch genau zubereitet. Auch ist die Grundstruktur von E.T.A. Hoffmanns Märchen, das geheimnisvoll-unheimliche Schwanken zwischen Traum und Wirklichkeit, noch auszumachen. Vom „Weihnachtsabend im heimeligen Wohnzimmer“, von dem das Programmheftchen zu Sutherlands Choreographie komischerweise faselt, ist freilich kaum etwas übrig geblieben.
Zur kurzen Ouvertüre huschen weiße Video-Mäuse über den schwarzen Theatervorhang. Als der aufgeht, sieht man im Lichtkegel einen Tisch – keinen geschmückten Gabentisch unterm Weihnachtsbaum, sondern ein kühl designtes Büromöbel, um das alsbald (die Kinder) Fritz (Ermanno Sbezzo in weißem Höschen und schwarzem Oberteil) und Klara (Risa Yamamoto in flatterndem Faltenröckchen) zu tanzen beginnen. Später kommen noch (der zum Mausekönig mutierende) Drosselmeyer (Tu Ngoc Hoang in langer schwarzer Hose) und weitere Bürotische hinzu, die in Sutherlands origineller Tanzsprache auf flachen Sohlen traktiert werden. Die drei fegen springend über die glatten Flächen, tollen um die Möbelfüße und -kanten, fallen sich in schlängelnde Arme, amüsieren sich im Spiel.
Irgendwo im dunstigen Bühnenhintergrund tauchen die Eltern der Kinder auf. Dann schweben kuschelige Stofftierchen vom Bühnenhimmel und werden auf den Tischen ausgebreitet. Zwei menschlich belebte Pfirsichblüten-Tanzpuppen (Camilla Marcati und Carlotta Squeri) haben ihren Auftritt. Ganz hinten links liegt eine bleiche, weiß maskierte Figur in ihrem Grab. Das Zwölf-Uhr-Gespensterglöckchen bimmelt. Klaras Traum beginnt – die ominöse Figur (Maximo Marinelli) rückt, von ihr zum Leben erweckt und in den Kampf gegen den Mausekönig geführt, als Nussknacker in der Vordergrund.
Dann ein Bild, das tatsächlich an das „alte“ Ballett erinnern könnte: Ein Schneeflockenpaar (Nozomi Matsuoka und Toshitaka Nakamura) wirbelt leichtfüßig über die Bühne, später ein ganzes Schneeflocken-Ensemble, von Ausstatterin Verena Hemmerlein zauberhaft mit flockig gebauschten, weißen Tüllwölkchen ausstaffiert. Es regnet bläulich glitzernden Konfetti-Schnee, zum Schneeflocken-Walzer singt (unsichtbar) der Kinderchor des Pforzheimer Stadttheaters. Also doch ein weihnachtlich-winterliches Stimmungstableau?
Fuck Yu Weihnachts-Nussknacker! Nach der Pause gibt es im zweiten Akt, als die Divertissements der Zuckerfee über die Bühne hereinbrechen, karnevalmunteres Treiben mit Witz und Karikaturen der einstigen Ballett-Klassiker-Seligkeiten. Die Schneeflockenröckchen sind nun faschingsgrellbunt von eingearbeiteten elektrischen Lämpchen erleuchtet, ihre Träger kommen verquer tanzend recht spanisch, chinesisch und russisch daher. Es gibt noch ein mädchenhaft charmantes, ironisiertes Zuckerfee-Solo (Yamamoto), allerhand Tanzclown-Einlagen vom Mausekönig (witzig Tu Ngoc Hoang, aber bitte, lasst den herrlich vitalen, mit Beinmuskelpaketen bepackten Tänzer nur in langen Hosen auftreten!), den (modernisierten) Grand Pas de deux Nussknacker-Klara sowie ein turbulentes Schluss-Ensemble. Den endgültigen Schlusspunkt markiert Klara, die – aufgewacht – wieder auf ihrem Bürotisch sitzt. Kann man auf einem solchen Möbel träumen? Vielleicht vom Begeisterungsjubel des Publikums, der unvermittelt in voller Wucht ausbricht.