Foto: "Enron" am Theater Heilbornn. Gabriel Kemmether (hier als Wirtschaftspru?fer), Nils Bru?ck (Jeffrey Skilling), Oliver Firit (Andy Fastow), Tobias D. Weber (hier als Anwalt Ramsay), Angelika Hart (hier als Anwalt Hewitt); oben Sebastian Weiss (Aufsichtsrat), Stefan Eichberg (Ken Lay) , Frank Lienert-Mondanelli (Aufsichtsrat) © Thomas Braun
Text:Volker Oesterreich, am 27. Januar 2014
„Ja, so war’s“, wird sich mancher nach dem kräftigen Schlussapplaus im Heilbronner Theater gedacht haben. Genau so wie in Lucy Prebbles halbdokumentarischem Wirtschaftskrimi „Enron“ funktioniert der Tanz ums Goldene Kalb bei spekulativ agierenden Großkonzernen. Genau so wurden Bilanzen frisiert. Genau so wurden Anleger und Medien geblendet. Und genau so funktionierte die Schattenwirtschaft mit versteckten Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe.
Realwirschaft ade. In Konzernen à la Enron werden Schulden bei Tochterfirmen mit einer höchst komplizierten Gesellschafterstruktur versteckt. Man dealt auf dem deregulierten Strommarkt und interveniert zu diesem Zweck bei George W., dem Kandidaten fürs Weiße Haus. Man bündelt seine Miesen in Form vermeintlich lukrativer Zertifikate und verschachert diese auch noch gewinnbringend. „Die Krise heißt Kapitalismus“, lautet das Menetekel in Heilbronn. Es erscheint gleich zu Beginn auf einer großen, grob gepixelten Videowand, die den gesamten Bühnenraum dominiert. Auf ihr wird das bizarre Geschehen durch noch bizarrere Bilder der beiden Videodesigner Stefan Bischoff und Carsten George kommentiert, mal im Comic-Stil, dann mit Nachrichtenbildern oder mit den Fieberkurven des Börsenparketts.
Die 1981 geborene britische Theater- und TV-Autorin Lucy Prebble verknüpft in „Enron“ die Vorzüge eines „well made play“ mit der tragikomischen Realsatire eines gigantischen Konzernbankrotts. Ihr Plot und ihre handelnden Figuren sind keine Fiktion, sondern wurden nach authentischen Vorbildern modelliert. Selbst die Namen der ehemaligen Konzernlenker hat sie übernommen. Jeffrey Skilling, der in Heilbronn von Nils Brück gewieft und zupackend gespielt wird, sitzt noch immer in Haft. 2017 soll er vorzeitig entlassen werden, weil er seine Strafe durch ein 40-Millonen-Dollar-Geschäft um zehn Jahre reduzieren konnte. Auch diese Amoral thematisiert Lucy Prebble.
Der Heilbronner Intendant Axel Vornam unterstreicht die Verrücktheit der Enron-Pleite, wenn er Bilanzprüfer, Aufsichtsräte oder Juristen als Clowns oder Puppenspieler maskierend demaskiert. Zu diesem Zweck lässt er eine vielköpfige Schar von Nebendarstellern als hampelnde Hampelfrauen und -männer aufmarschieren. Hier funktioniert sie, die wohldosiert eingesetzte Slapstick-Methode. Hauptakteure neben Skilling sind der Enron-Vorstandsvorsitzende Ken Lay (texanisch kaltschnäuzig: Stefan Eichberg), die ausgebootete Managerin Claudia Roe (smart und sexy: Sylvia Bretschneider) und der Enron-Finanzchef Andy Fastow (Oliver Firit). Als Herr der frisierten Bilanzen agiert dieser servile Helfershelfer in der Computer-Hölle, die gelegentlich effektvoll aus der Versenkung hochfährt.
20 000 Angestellte verloren bei der Enron-Pleite Ende 2001 ihre Jobs. Zudem wurden Pensionsfonds im Wert von zwei Milliarden Dollar vernichtet. So gesehen ist „Enron“ auch ein Lehrstück über die spätere Lehman-Pleite und die darauf folgende internationale Bankenkrise. Kaum verwunderlich, dass sich beim Verlassen des Theatersaals viele Premieren-Besucher über ihre Depots oder Anlage-Strategien unterhielten. . .