Foto: "Ich will!" im Rahmen von Freispiel am JES: © Tobias Metz
Text:Manfred Jahnke, am 21. Oktober 2013
Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine Bühne zu ihrem zehnten Geburtstag sich statt eins großen Premierenreigens eine experimentelle Spielzeit leistet. In neun „FreiSpielen“ am Stuttgarter JES, verteilt über die ganze Spielzeit, versuchen Ensemblemitglieder zusammen mit jungen Gästen eigene Wege zu gehen, um das Motto „was wir schon immer mal ausprobieren wollten!“ einzulösen. Wenn sich das Junge Ensemble Stuttgart einen solchen ungewöhnlichen Weg leisten kann, dann hat das auch damit zu tun, dass ein Repertoire erfolgreicher Inszenierungen besteht, so dass im eigentlichen Sinne des Wortes kein Premierenzwang besteht.
Was man immer schon einmal am JES probieren wollte, ist ein Tanztheater für die Allerkleinsten. Zusammen mit dem jungen belgischen Choreografen Hendrik Lebon, der durch die bekannte Schule des Kopergierty und des Speeltheater Gent gegangen ist – Ives Thuwis gehört zu seinen Choreographen –, entwickelt Brigitte Dethier mit den beiden Schauspielerinnen Prisca Maier und Elisabeth Jakob eine Choreographie, die das „Ich will!“ kleiner Kinder zum Ausgangspunkt nimmt. Eine weiße Couch dominiert den Raum, den die Beiden, Steine unter den Shirts versteckt, neugierig betreten. Lebon entwickelt für die Forderungen des „Ich will!“ eine bildhafte Sprache mit fast klassischen Tanzbewegungen und Formen der contact improvisation. Dazu entsteht eine einfache poetische Geschichte, wie Kinder Regeln aufstellen, um sie gleich wieder umzuwerfen und neue zu schaffen. Dieses „FreiSpiel 2“ hat alles Zeug dazu, fest ins Repertoire aufgenommen zu werden.
„FreiSpiel 1“ ist eine Romanadaption: „Du und Ich“ nach Niccolò Ammaniti. Auf der Hinterbühne des JES entwickeln der Schauspieler Alexander Redwitz, Stephanie Biesolt, Absolventin der Stuttgarter Schauspielschule zusammen mit dem Grafiker und Musiker Kleon Merdugorac und dem jungen Regisseur Alexander Wang eine ganz eigene Form eines Erzähltheaters. Wang bringt Erfahrungen mit Projekttheaterarbeiten aus Braunschweig und Koblenz mit und konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Erzählung, Spielsequenzen und Videoeinspielungen sowie Live-Video, was sehr gut zu der Geschichte von Lorenzo passt. Er, schon ein fast autistischer Jugendlicher, versteckt sich für eine Woche im Keller, während seine Eltern glauben, dass er mit Freunden, die er gar nicht hat, auf Skiurlaub gefahren ist. In diesen Keller dringt seine ältere Halbschwester ein, von der Drogensucht gekennzeichnet und krank. Zwischen beiden entsteht ein Spiel zwischen Hass und Zuneigung. Aufopferungsvoll betreut er seine Halbschwester und lernt dabei Empathie zu entwickeln. Alexander Redwitz führt das rotzig und anrührend vor. Das Ambiente der JES-Hinterbühne passt zu dieser Geschichte perfekt, die schon fast wie eine improvisierte Rauminstallation wirkt. Man darf auf die „FreiSpiele 4 – 9“ gespannt sein, denn diese beiden Ausgaben verweisen schon jetzt darauf, dass über das „Ausprobieren“ hinaus hier schon wieder Repertoirestücke entstehen. Eine produktive Werkstatt!