Foto: Boshana Milkov in „The Plague“ © Filmstill Kobie van Rensburg
Text:Andreas Falentin, am 2. April 2021
„The Plague“ sollte das Projekt werden, mit dem sich das Theater Krefeld Mönchengladbach explizit mit Corona auseinandersetzt. Und es ist es geworden. Wenn auch ganz anders als geplant. Denn Kobie van Rensburg hat zwar am Haus schon mehrfach mit Blue- und Greenscreentechnik für die Bühne experimentiert (etwa hier), aber stets für ein Publikum im Saal. Mit der Filmtechnik jetzt tatsächlich einen Film herzustellen, ist etwas anderes – zumal unter Beachtung sämtlicher Corona-Abstandsregeln in einem Ensemblestück!
Denn immerhin neun Sängerinnen und Sänger sind in dieser Film-Installation fast ständig präsent, die operndramaturgisch ein Pasticcio ist. Die Handlungsstruktur hat van Rensburg Daniel Defoes „A Journal of the Plague Year“ von 1722 entnommen. Der Autor des „Robinson Crusoe“ beschreibt hier die Verwerfungen und Zerstörungen, die die Pest 1665 in Großbritannien angerichtet hat. In 12 Kapitel aufgeschlüsselt erleben wir in überspitzter Form, inklusive zeitlicher Distanzierung und edler Schwarz-Weiss-Optik, was uns selbst gerade widerfährt: eine nicht zu behrerrschende Seuche. Und die löst Angst aus, Gier und Tod. Man versucht, sich durch Flucht zu entziehen, gesellschaftliche Gräben vertiefen sich. Man bleibt unter sich, besonders, wenn man viel hat und ist. Die Sehnsucht nach Berührung und Zärtlichkeit wächst wie die Verzweiflung. Quarantänesituationen machen das Leben unbequem, einzelnen auch unerträglich. Immer stärker dominieren Verlust, Abschied, Tod.
Kobie van Rensburg erzählt das ruhig, klar und mit der nötigen Distanz. Vor jedem Kapitel spricht er einen kurzen englischen Text aus dem Off, meistens Defoe, ein wenig Shakespeare und Ben Johnson. Gesungen und musiziert wird Musik von Henry Purcell, zu Beginn aus den Opern „King Arthur“ und „The Fairy Queen“, später kommen Musiken aus anderen Opern und geistlichen Werken hinzu, und zweimal ein ganz anderer Ton. „There were Three Ravens“ von Thomas Ravenscroft, in Großbritannien durchaus ein Volkslied, illustriert einen Exkurs in Legendenbildung und ein geistliches Stück von Pelham Humfrey markiert den endgültigen Übergang zur Verzweiflung.
Rein optisch ist das alles eigenrtlich gar nicht aufregend. Aber das Timing, die Spätrenaissance-Hintergründe und -Kostüme sind stimmig, das Ensemble wird souverän geführt. Der Umgang mit der englischen Sprache ist herausragend, sowohl im Ausdruck als auch in der Versinnlichung des Lautspektrums. Es wird großartig musiziert. Die kleine Streicher- und Schlagwerkgruppe der Niederrheinischen Sinfoniker hat beglückend mit den externen Spezialisten an Laute und Orgel zusammengefunden. Und Yorgos Ziavras, der selbst auch Cembalo spielt, organisiert einen nie langweiligen, rhythmisch akzentuierten, ungeheuer farbreichen Klang. Auch das Sängerensemble ist zu preisen, sämtlich urgesunde Stimmen mit organischem Sitz und vielen Ausdrucksnuancen. Hervorzuheben ist vielleicht die dem Haus seit vielen Jahren verbundene Susanne Seefing, hier einmal mehr als mitreißend authentisches, dabei stets kultiviert singendes Ausdrucksmonster unterwegs. Dazu zwei fast unerhört schöne junge Stimmen aus dem Opernstudio: Die Mezzosopranistin Boshana Milkov und der bariton Guillem Batllori.
Fast zwei Monate lang hat das Theater Krefeld Mönchengladbach „The Plague“ produziert. Drei Tage wurde die Musik aufgenommen. Alle spielten ihre Stücke einzeln ein. Musikalischer Leiter und Regisseur fügten sie zu Ensembles zusammen. Mit diesem Soundtrack ging man in die filmischen Aufnahmesessions. Hier war natürlich auch keine körperliche Nähe erlaubt. Im Film gibt es diese aber durchaus. Und häufig. Fast einen Monat lang baute Kobie van Rensburg, Regisseur, Kamermann, Cutter, Sprecher in einer Person, Musik, Kameraarbeit, Animationen und Huintergründe zu zeigbaren 90 Minuten zusammen.
Die Anstrengung hat sich sehr gelohnt. Nicht weil alles musikalisch exakt ist, weil die mit feinen ironischen und witzigen Akzenten wuchernde visuelle Phantasie erfreut oder der professionell produzierte Film nur momentweise ein wenig synthetisch wirkt. „The Plague“ lebt von einem großen Antagonismus. Einerseits wird schlagend vorgeführt, was eine Seuche, eine Pandemie vor allem erzeugt, wenn sie nicht erfolgreich bekämpft werden kann: existenzielles Leid. Dem gibt die Produktion den notwendigen Raum. Und setzt ihm gleichzeitig bewusst – und erfolgreich – etwas entgegen, nämlich die Spiel-, Musizier- und Lebensfreude aller Beteiligten. Insofern ist „The Plague“ fast ein „Modellprojekt“ für das, was ein Theater in diesen nicht nur für die Theater schlimmen Zeiten leisten kann.