Foto: Die Uraufführung von Christoph Klimkes "Der obdachlose Mond" in Zittau. Tilo Werner (Karl), Katinka Maché (Helga) und David Thomas Pawlak (Lars Ole) © Pawel Sosnowski
Text:Hartmut Krug, am 9. Februar 2016
Im leeren, offenen Bühnenraum steht auf einer Bühnenscheibe vor dem Publikum ein Tante-Emma-Laden. Schräg hinab zum Publikum neigt er sich mit seinen vor allem mit Flaschen besetzten Regalen. Hier treffen sich Karl vom Ordnungsamt, die Ladenbesitzerin Helga und die Aushilfe Lars Ole. Ihre Welt ist klein, doch die drei reden auch über die große Welt. Und darüber, dass sich beide Welten treffen, wenn schon wieder Fremde im Ort einquartiert werden sollen. Was nicht allen gefällt. Wo doch kaum noch Platz in der stillgelegten Maschinenfabrik sei, in der die jetzt arbeitslosen Einheimischen Arbeit hatten. Weshalb Helga aufbraust: „Also wenn jetzt die 31 auch noch kommen, garantiere ich für nix mehr. Ihr wisst doch, wo Häuser brennen, brennen Menschen leicht, sagt man so. Neue Feuerzeuge hab ich im Angebot.“
Wer nun glaubt, dies sei mal wieder ein selbstsicher kritisches Stück gegen Pegida, belegt mit deren bösen Zitaten, das es dem kopfschüttelnden Zuschauer leicht macht, seine Abscheu zu bekunden, der irrt. Autor Christoph Klimke zeigt die kleinen Leute, wie sie sich die Welt zu erklären suchen und dabei zwischen Klischees und Erkenntnissen pendeln. Seine Figuren reden einfach vor sich hin, wie es Menschen wohl so tun, wenn sie mit ihrem Leben nicht zufrieden sind, weil ihnen die Sicherheit verloren gegangen ist. Nun haben sie Angst, wovor auch immer.
Dabei reagieren sie sogar auf die Anforderungen einer politischen Korrektheit, wenn auch mit trotziger Hilflosigkeit: So ändert Helga ihr Sonderangebot von Negerküssen auf dem Angebotsschild vor dem Laden, – die Negerküsse werden zu Küssen mit Migrationshintergrund. Und: Sie suchen nach fertigen Erklärungen, die das Stück bewusst nicht bietet. Dagegen fächert es Fragen auf.
Vor allem aber geht es um die Fremdenbilder, die Menschen in ihren Köpfen haben. Natürlich sind die Fremden eine sexuelle Provokation von großer Anziehungskraft. Sie werden durch sexuelle und emotionale Klischees begehrenswert gemacht. Karl vom Ordnungsamt, immerhin mit einer Polin verheiratet, spricht mit Sympathie von Tejo aus Nigeria, der im Una-Tierra-Laden arbeitet, und auch den Besitzer vom Asia-Shop sowie den Araber Ali von der Müllabfuhr findet er nett. Natürlich kommen auch eigene Sehnsüchte nach Sex und Reisen in die Fremde nicht zu kurz. Selbst über die Weltwirtschaft und das billige T-Shirt von Lars Ole und dessen Auswirkungen auf die Flüchtlingswelle spricht man, – allerdings mit folgenloser Vernunft. Helga, die alleinstehende Ladenbesitzerin, will keine „Sharia“ und keine „Alibaba und die 40 Dealer“ im Dorf haben. Den Sex, den sie ersehnt, versucht sie sich vergeblich mit einem heftigen Übergriff bei ihrem jungen Gehilfen zu holen. Doch der ist sich seiner sexuellen Orientierung noch nicht sicher.
All das bewegt sich nicht immer fern von Klischees, aber Klimke lässt es so klingen, dass seine Figuren und die Zuschauer nicht sofort mit fertigen Antworten abgespeist werden. Vor allem aber diskutieren seine drei kleinen Leute weniger, als dass sie ihre Gedanken so rauslassen. Kaum einmal werden Sätze und Gedanken zu Ende geführt, kaum geht einer wirklich auf den anderen ein. Oft trudeln angerissene Sätze und Phrasen einfach ins Leere. Frisch heraus und unverdaut mischen sich Klischees mit klugen Gedanken, Hoffnungen mit Ängsten, Sehnsüchte mit Unzufriedenheit, und heraus kommt ein Durcheinander politischer Meinungen. Ganz wie im Leben.
Das Ganze: ein intelligentes, buntes Panorama. Mit dessen offenem Sprachmaterial man in Zittau leider Probleme hatte. Klimkes Stück, das er nicht zu Unrecht eine „Farce“ nennt, ist kein großer Wurf. Doch es wirkt bei der Lektüre oft anregend und recht komisch. In Zittau allerdings lacht das Publikum bei der Uraufführung nicht ein einziges Mal. Zu ernsthaft lässt Regisseur Hannes Hametner in seiner soliden Inszenierung die Texte vortragen. Und seine drei Darsteller sind, trotz ihrer teils ambivalenten Haltungen, allzu festgezurrt in kräftiger Eindeutigkeit. Sie sind keine Figuren, sondern Verlautbarer von Haltungen. Wenn schließlich der Tante-Emma-Laden bei offener Bühne zum Una-Tierra-Laden umgebaut wird, in dem die drei sich zu afrikanischen Maskentänzern verwandeln, läuft über der Bühne ein Strom von Flüchtlingsbildern. Ein didaktischer Einfall wie die Einblendung der acht Artikel der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, – beides aber hat keinerlei Auswirkungen auf das Stück und die Inszenierung.
Am Schluss erfolgt immerhin eine wunderbar farcenhafte Volte: Viele Einheimische wollten die Asylbewerber am liebsten auf den Mond schießen. Nun aber sind die drei kleinen Leute selbst auf dem Mond gelandet. Denn die Fremden haben sich in Deutschland keineswegs als die besseren Menschen erwiesen, sondern haben sich irgendwie, mit Gewalt und/oder Geschicklichkeit durchgesetzt und beherrschen das Land. Weshalb unsere drei verwirrten Bürger auf dem Mond Stevie Wonders „I just called to say I love you“ hören, bis die Batterien leer sind. Fazit: Ein intelligentes und schwieriges Stück, das zwischen Klischees und Mehrdeutigkeit schwankt. In einer engagierten Inszenierung, der es nicht gelingt, dieses Schwanken spielerisch produktiv zu machen.