Foto: Thomas Ecke, Jana A. Rödiger, Susi Wirth und Alexandre Pelichet in der schweizer-deutschen Uraufführung von "Der Bären wilde Wohnung". © Ilja Mess
Text:Elisabeth Maier, am 22. Oktober 2012
War Tells Apfelschuss nichts als ein Faschingsscherz? Der 28-jährige Lukas Linder spielt im Stück „Der Bären wilde Wohnung“ mit Mythen der Schweizer. Der Titel ist aus Schillers „Tell“ zitiert: „Wir haben diesen Boden uns erschaf-fen, durch unsrer Hände Fleiß, den alten Wald, der sonst der Bären wilde Woh-nung war, zu einem Sitz für Menschen umgewandelt“, sagt der Eidgenosse Stauffacher. Der erdige Heimatkult inspiriert Linder zum Nachdenken über Na-tionen. In dem gelungenen Auftragswerk, das er für die Theater in Konstanz und Schaffhausen geschrieben hat, begegnen sich Ehepaare aus Deutschland und der Schweiz. Was als Verkaufsgespräch beginnt, endet im emotionalen Fiasko. Mit seinem Gespür für Komik kitzelt der Autor Ängste heraus. Stephan Roppel, Chef des Züricher Theaters Winkelwiese und Experte für neue Stücke, führt souverän Regie. Er hält Linders ungestüme Experimentierfreude klug im Zaum.
„Borderline – Deutsche Heimat, Schweizer Berge“ heißt das Spielzeitmotto des Theaters Konstanz. Mit Uraufführungen und Klassikern lotet die Bühne an der Grenze zur Schweiz das schwierige Verhältnis der Nachbarn aus. Linders Stück passt ins Konzept. Der Autor wurde 1984 bei Schaffhausen geboren und studier-te Germanistik und Philosophie. Zugleich arbeitete er an Bühnen in Deutschland und der Schweiz. Das Stück des Grenzgängers hat aber nichts Verkopftes. Lust-voll lassen sich Regisseur Roppel und das Ensemble auf Spitzen und boshafte Wortspiele ein, die Linder brillant beherrscht.
Mit leichter Hand lässt er Dialoge zwischen den Ehepaaren Bär und Hamann in den Boulevardjargon abrutschen, um dann tiefe Einsichten zu verkaufen. „Ein erwachsener Mann spricht nicht von seinem Herzen. Er spricht von seinem Golfschläger“, wirft der deutsche Abteilungsleiter Günther, von Thomas Ecke stark porträtiert, Herrn Bär an den Kopf. Der gemütliche Schweizer, den Alex-andre Pelichet vielschichtig zeigt, kann das nicht fassen. Dann aber dekonstru-iert der Feinripphemd-Held mit dem Fünf-Tage-Bart die Erfolgsfassade des Deutschen eiskalt. Jana Alexia Rödiger stattet die überzüchtete deutsche Psychi-aterin Sandra mit Hunger nach Liebe aus. Sie unterliegt der hasserfüllten Frau Bär, deren Psychoterror Susi Wirth bis ins gemeinste Detail auskostet.
In Petra Straß’ offenem Raum, der an eine riesige Apfelkiste erinnert, zelebrie-ren die vier bemerkenswerten Schauspieler eine Zimmerschlacht, die ins Surrea-le gleitet. Thomas Ecke als Conférencier führt die Zuschauer durch einen Traumraum, der sich in Bärs Kopf abspielt. Allein diesen Moderator legt der Autor noch nicht schlüssig an. Was die starke Uraufführung kaum schwächt. Michael Omlins subtile Lichtregie spiegelt den Taumel der Emotionen mit far-bigem Licht. So akzentuiert er die die Tiefenschärfe des Textes. Linder lockt seine Figuren in ein Spinnennetz aus Nähe und Distanz, in dem sie zappeln. Oh-ne plakativ auf politische Konflikte wie das Bankengeheimnis oder die Krise des Euro anzuspielen, spiegelt er so nationale Spannungen.