Foto: "Der Nussknacker" am Theater Freiburg © Maurice Korbel
Text:Björn Hayer, am 15. Dezember 2014
Im Südwesten weihnachtet es mit fantastischer Verve: Von Freiburgern für Freiburger – unter der Gesamtleitung von Graham Smith – auf die Bühne gebracht, erfreut sich Tschaikowskys Ballett „Der Nussknacker“ einer wildjungen Interpretation: 110 Laien der dem Haus zugehörigen „School of Life and Dance“ erzählen die Geschichte der kleinen Clara (Helena Radeke), welche von ihrem skurrilen Onkel Drosselmeyer (Balduin Bollin) zum Weihnachtsfest einen Nussknacker geschenkt bekommt. Als sich die Festivität unter dem geschmückten Tannenbaum und samt tanzfroher Geselligkeit dem Ende zuneigt und die Heldin auf dem Sofa ins Reich der Träume entschwindet, treten sie und ihr hölzerner Begleiter eine abenteuerliche Reise an. Auf der Odyssee durch Vorstellung und Raum, inspiriert von E.T.A. Hoffmanns romantischer Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“, begegnen sie dem Rattenkönig und Lebkuchenmännern, durchqueren einen Wald mit lebendigen Bäumen und Schneeflocken, treffen auf Superhelden und laden sogar im Morgenland. Erst mit dem aufkommenden Tag lösen sich die Träume wieder auf. Zurück bleibt eine Erinnerung an eine Nacht voller Wunder.
Obgleich die teils etwas diffuse Choreographie insbesondere im ersten Drittel des Abends doch sehr an eine Schulaufführung denken lässt, zumal das Kindergewusel von 75 Viertklässlern der Vigelius-Grundschule im Vordergrund nicht selten die tänzerische Arrangements im mittleren Teil der Bühne nur ungenügend zur Geltung kommen lässt, gelingt die Inszenierung durch musikalische Präzision (Musikalische Leitung: Bo Wiget) und eine mehr als zauberhafte Kulisse: Wenn sich etwa die Protagonistin mit ihrem Gefährten durch überlebensgroße Vorhänge mit Motiven einer orientalischen Stadtarchitektur oder eines Märchenwaldes hindurchwindet, mag sich jeder Zuschauer noch einmal in die eigene Kindheit zurückversetzt fühlen. Ähnliches verspricht uns auch ein von der Decke hinabsinkenes, blaues Netz, worin Damen mit Badebrillen synchron zur Musik geradezu sphärische Wellenbewegungen in die Luft zeichnen. Von den Schwebenden in Bann gezogen, nimmt auch Clara zwischen ihnen Platz – ein beseeltes Bild für das Entgleiten in Fantasie und Sehnsucht nach dem Fernen.
So stellt Freiburg eine imposante Oper aus Licht und Liebe, Melodie und Magie auf die Beine, die nicht mehr und nicht weniger als eine klassische Weihnachtsgeschichte zu erzählen vermag: Denn wo die übrigen Besucher der Feier zu Beginn den Nussknacker mit großer Befremdung beäugen, ist Clara ihm vom ersten Moment an zugetan und schenkt ihm im Paradies ihrer Träume eine Heimat. Diese Gabe zeugt von Großmut und lehrt uns die Toleranz gegenüber dem Anderen. Viele der Fantasiegestalten auf der Bühne sind zwar nicht halb so dämonisch wie in Hoffmanns Vorlage. Und doch rufen sie Irritationen hervor. Clara demonstriert uns hingegen das Glück kindlicher Unvoreingenommenheit und weitet unsere Herzen. Das ist vitale Integration, erprobt in theatralischer Leidenschaft.