Links eine weibliche Person, rechts eine männlich, beide den Kopf für den/die Betrachter:in nach rechts gewandt

Schwarz ist nicht schwarz und weiß nicht weiß

Mohammad Al Attar: Die Begegnung von gestern

Theater:Theater Freiburg, Premiere:21.03.2024 (UA)Regie:Omar Abusaada

Was ist Wahrheit? Wann herrscht Gerechtigkeit? Mohammed Al Attars Stück „Die Begegnung von gestern“ über die bröckelnden Gewissheiten eines syrischen Folteropfers wurde am Freiburger Theater uraufgeführt. 

Der Fall scheint klar zu sein. Diese Stimme habe sich in seinen Kopf eingenistet. Er werde sie niemals vergessen, nicht in zehn Jahren und nicht in hundert, erklärt der Syrer Anas, nachdem er seinen mutmaßlichen damaligen Peiniger Walid Salim zufällig in einem Berliner Baumarkt getroffen hat. Jetzt fordert er Gerechtigkeit: Der Ex-Oberst des Geheimdiensts, der das Land nach seiner Desertion verlassen musste und seitdem in Deutschland lebt, muss sich vor Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Das ist die Ausgangssituation von Mohammad Al Attars Stück „Die Begegnung von gestern“, das unter der Regie von Omar Abussada im Theater Freiburg uraufgeführt wurde. 

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Doch wer jetzt die übliche Anklage des Opfers wider die Ausflüchte des Täters erwartet, wird bald auf den Weg produktiver Verwirrung geführt. Schwarz ist nicht schwarz und weiß nicht weiß in diesem auf einer zweifarbigen kreisrunden drehbaren Spielfläche (Bühne: Bissane Al Charif) stattfindenden Kammerspiel – die in den jeweiligen Szenen nicht geforderten Darsteller sitzen auf Stühlen daneben.

Immer mehr Grautöne tun sich in den Gesprächen zwischen dem Anwalt (Hartmut Stanke) und seinem Klienten Anas (Victor Calero), zwischen Walids Verteidigerin Nadia (Anja Schweitzer) und ihrem Freund Bassil (Nicola Fritzen), zwischen Walid (Henry Meyer) und seiner Tochter Maha (Josefin Fischer) auf. Die augenscheinliche Wahrheit bekommt immer mehr Risse. Familiäre Verflechtungen überkreuzen sich mit den politischen Verhältnissen in der Diktatur: einem System, das auf Denunziation und Folter gründet.

Schlichte Strenge

Mit schlichter Strenge verhandeln Autor und Regie den Fall vor dem Publikum, das auf theatrale Effekte verzichten muss. Einzig ein Baumstamm mit sehr weit verzweigtem Wurzelwerk ragt von der Decke über den Köpfen der Spielenden in den Raum. Er lässt – wie der Text selbst – Deutungsräume offen: Steht er für die Entwurzelung der syrischen Flüchtlinge in Berlin und anderswo, steht er für die Verästelungen einer Wahrheitssuche, die nie ans Ende kommt, weil das Gesagte von Verschwiegenem umgeben ist?

Immer wieder werden die Protagonisten mit Erinnerungen konfrontiert, von denen sie bisher nichts wussten – und am Ende scheint die Erkenntnis auf, dass sich in einer Diktatur niemand ihren Methoden entziehen kann. Wie sagt es Bassil: „Wenn ich gemein wäre, würde ich sagen: Damals gab es niemanden in Syrien, der nicht auf die eine oder andere Weise Komplize des Regimes war. Und wenn ich nicht gemein bin, würde ich sagen, es gab Leute, die versucht haben, sich davon fernzuhalten, sogar wenn sie beim Geheimdienst arbeiteten.“ 

Verdämmerndes Ende

Und ob diese Methoden den Namen „syrischer Geheimdienst“, „Stasi“ oder „Gestapo“ tragen, ist letztendlich egal. Al Attar geht es nicht um politische Konkretion, sondern um grundlegende Bedingungen menschlichen Handelns zwischen Angst, Opportunismus und Bestechlichkeit. Auch wenn einen das Gefühl nicht verlässt, die Aufführung wäre authentischer mit syrischen Schauspielern besetzt gewesen, weist Attar solche Überlegungen zurück. Verhandelt und vermessen wird in Freiburg das Konfliktfeld zwischen persönlicher Betroffenheit, familiärer Solidarität und den unmenschlichen Bedingungen eines den Einzelnen mit Füßen tretenden Systems, in dem man schneller zum Verräter wird, als man je es für möglich gehalten hätte. 

Trotzdem hätte man dieser hochspannenden Vorlage, die in Zeiten extremem Schwarz-Weiß-Denkens sehr zu denken gibt, mehr schauspielerisches Engagement gewünscht. Unter die Haut geht diese Aufführung nicht. Was allerdings ganz gut zu ihrem verdämmernden Ende passt: Alle sitzen smalltalkend auf der Bühne – und mit dem Licht wird auch der Wunsch nach Aufklärung verabschiedet.